Die Ahnen von Avalon
oder ob er mich nur verwirrt hat.« Selbst jetzt noch bebte sie innerlich bei der Erinnerung an diese schlanke, breitschultrige Gestalt und das hinreißende Lächeln. Sie hatte viel zu lange gebraucht, um sich zu fragen, was dahinter steckte. »Letztendlich musste ich jedoch feststellen, dass ich ihm nicht trauen konnte, obwohl er mein Vetter war.«
Sie runzelte leicht die Stirn und überlegte, wann sie diesen Traum aufgegeben hatte. Dann spürte sie ein Brennen in den Augen und blinzelte Tränen weg.
»Ihr weint ja…«, sagte Reidel. »Verzeiht mir, ich hätte nicht davon anfangen sollen.«
»Seid still!«, schrie sie. »Begreift Ihr denn nicht? Ich bin bis jetzt noch nicht fähig, mich von ihm zu lösen!«
»Er war ein großartiger Mann…«, brachte Reidel mühsam hervor. »Und er war von königlichem Geblüt, Euch ebenbürtig. Ich wollte nur, dass Ihr wisst…« Er schluckte. »Ich wollte Euch wissen lassen, dass ich jetzt begreife. Es war verrückt von mir, zu glauben, dass Ihr und ich…« Er verstummte erneut, als Damisa sich ihm zu drehte und ihn am Vorderteil seiner Tunika packte.
»Es gibt etwas, das ich Euch wissen lassen möchte«, sagte sie leise und senkte den Blick. »Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, als ich im Bett lag, während die Heilkundigen sich mit mir beschäftigten. Vieles von den Geschehnissen am Sonnenrad ist in meiner Erinnerung verschwommen. Aber an eines erinnere ich mich sehr genau. Als die Steine auf uns herabfielen, wart Ihr derjenige, den ich, einer Eingebung folgend, rettete. Nicht Tjalan - Euch!«
»Ja. Ihr habt mir befohlen, am Leben zu bleiben.«
Sein Ton hörte sich an, als ob er lächelte. Ihr Atem ging schneller, und nun wagte sie es, ihn anzusehen; er legte sehr sanft die Arme um sie. Liebte sie ihn? Selbst jetzt wusste sie es nicht genau. Aber es fühlte sich gut an, von ihm umschlungen dazustehen.
»Ich kann dir nur ein armseliges Leben bieten, Reidel«, sagte sie mit einer so schwachen Stimme, dass sie selbst sie kaum für die ihre halten konnte. »Aber ich brauche dich. Das weiß ich jetzt.«
»Ich würde mich glücklich schätzen, mit dir leben zu dürfen… unter allen Umständen.« Jetzt war er derjenige, der schwer atmete. »Ich habe stets die Herausforderung geliebt, im Sturm zu segeln.«
In den dunklen Stunden kurz vor der Morgendämmerung stand Tiriki mit Micail vor dem zerbrochenen Steinkreis. Die letzte Glut einzelner Freudenfeuer glimmte noch hier und da in der Ebene, herabgefallenen Sternen gleich. Am Himmel jedoch herrschte mehr Beständigkeit. Allerdings war der Mond verborgen und wetteiferte nicht mit dem unglaublichen Leuchten der Sterne. Chedan hätte die Botschaft, die sie vermittelten, natürlich sofort erfasst, doch auch Tiriki erkannte einiges davon, und ihr wurde klar, dass sie mehr von seinem astrologischen Wissen in sich aufgenommen hatte, als sie gedacht hatte.
Die Sterne der Reinheit, der Gerechtigkeit und der freien Wahl funkelten im Gürtel Manoahs - jener Konstellation, die von den Menschen hier Jäger des Schicksal genannt wurde. Vor einem Jahr hatte Chedan ihr erzählt, dass damals, als der Stern namens Zauberer und die Sonne gemeinsam im Zeichen der Fackel gewandert waren, ein neues Licht in die Welt gekommen war. Doch zu jener Zeit waren der Große Herrscher und der Blutstern gegen sie gewesen. Jetzt verweilte der Rote Stern beim Friedensstifter, und Caratras Stern war weitergezogen, um den Geflügelten Stier zu besänftigen. Am Himmel gab es Hoffnung, doch auf Erden hielten sich hartnäckig verschiedene Probleme, die gelöst werden mussten.
Ihre Zukunft mit Micail war eines davon, und die, so vermutete sie, hing davon ab, ob er in der Lage wäre, sein Priesteramt wieder aufzunehmen. Während der vergangenen Wochen hatte sie ihn gepflegt, gefordert und geliebt - und zumindest an der Liebe würde sich nichts ändern. Aber sie war nicht mehr einfach nur seine Bettgefährtin und Priesterin. Sie hatte sich weiterentwickelt, und sie wusste noch nicht, ob Micail aus seiner Prüfung mit einer Kraft hervorgegangen war, die der ihren angemessen war.
Micail trug nun wieder das Diadem eines Ersten Hüters, während sie sich nur in das Blau einer Caratra-Priesterin kleidete. Vor ihnen ragten die verbliebenen Steine des Kreises schwärzer als der Raum zwischen den Sternen auf. Nur drei Trilithen der inneren Hufform standen noch unversehrt da, und etliche Lücken klafften im äußeren Kreis, der zuvor geschlossen gewesen war. Selbst an
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