Drei Frauen im R4
Kapitel 1
Heute hier, morgen dort
- Hannes Wader -
»Trudi, mecker nicht, sondern pack lieber mit an!«, befahl mir Nele mit einem hysterischen Kreischen in der Stimme. Sie war mit dem Kopf schon wieder zwischen Gepäckstücken verschwunden. Ich hatte keine Lust, mit anzupacken, denn ich hatte mit mir genug zu tun. Fliehen oder bleiben, das war die Frage, die ich zu klären hatte. Wenn ich bliebe, dann hätte das Auswirkungen, und diese Auswirkungen stanken mir gerade heftig in die Nase. Das T-Shirt, in das sie mich gequetscht hatten, war nämlich nicht nur zum Kreischen eng, sondern es müffelte derart nach Patschuli, dass ich alle Energie brauchte, damit mir nicht die Sinne schwanden. Ich atmete so wenig wie möglich ein, und wenn doch, dann nur so flach, wie es irgend möglich war. Patschuli war schon anno ’81 nicht mein Duft gewesen.
Unliebsame Erinnerungen stiegen in mir auf. Schließlich kannten Nele und Renate die Erfahrung meiner Jugendtage, und ich fragte mich, wer von den beiden auf die gehässige Schnapsidee gekommen war, mich in dieses Shirt zu pressen. Sicher Renate, der traute ich den Stinkbombenscherz am ehesten zu. Nele war zu gutmütig und würde so etwas Fieses niemals machen, entschied ich und wedelte mit flacher Hand den Duft vor meiner Nase weg. Quelle odeur! Außerdem wusste Nele, dass mit einundzwanzig mein absoluter Lieblingsduft Cylan gewesen war, eine schwere, süßlich-herbe Mischung aus dem Teeladen, die in einem kleinen Fläschchen mit schwarzem Schraubverschluss angeboten wurde. Knapp vier Mark kostete so ein Fläschchen damals. Seitdem habe ich nie wieder so günstig Parfum erstanden. Auch Patschuli hatte der blasse Teemensch in seinem Sortiment, aber gekauft hätte ich das Zeug mit zwanzig nie, weil es in besseren Ökokreisen als »indisches Nuttendiesel« verschrien war. Kein Mensch roch damals nach dem Kifferparfum, zumindest keiner, der in den politischen und alternativen Kreisen etwas gelten wollte und der feministisch-alternativ-konzeptionell auf dem Laufenden war.
So war das zumindest in Landau gewesen, das in der pfälzischen Pampa lag, wo wir zusammen aufgewachsen waren, Renate, Nele und ich. Mit Beginn der diversen Schwangerschaften rund um ’83 hatten wir Landau dann aber hinter uns gelassen, um anderswo unser Glück zu finden. Bis dahin lebten Renate, Nele und ich in einer WG , rochen nach Sauerteig, selbstgerührtem Käse, Apfelshampoo, Karottencreme, Ziegenmilch und eben nach Cylan. Alles Lebensumstände, die ich längst hinter mir gelassen hatte und die nun, mit einem Mal, wie Vampire aus dem Sarg stiegen.
Wie ein Retro-Tannenbaum sah ich aus, mit einem einzelnen Blechohrring im Ohr, weil man Ohrringe damals nur einzeln trug. Grauenhaft! Mein Teil bestand aus einer kleinen bunten Perlenreihe, an der am unteren Ende eine Friedenstaube hing, die, wie es sich gehörte, eine weiße Feder im Schnabel trug. Alternatives Kunsthandwerk vom Feinsten! Und dann diese Latzhose, natürlich in Lila. Wie eine Kuh sah ich darin aus. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und duckte mich zum Wagen hin. Nicht auszudenken, was die Leute dachten, die mich in dieser Maskerade sahen, obwohl ich mich nie um die Leute geschert hatte – jetzt aber eben doch! Nele war ganz anders drauf. Sie trug mit freudigem Stolz ein paar abgeschnittene weiße Malerhosen, darunter ein türkisfarbenes T-Shirt der Marke Fruit of the Loom und Flip-Flops, die man früher Zehenlatschen nannte. Sie roch wenigstens besser als ich, denn ihr T-Shirt strömte Pfirsichblüte im Mai aus, auch diesen Duft hatte es im Teeladen gegeben. Der Typ aus dem Teeladen, so staubig er sonst auch war, mit Musik hatte er sich ausgekannt. Da der Pfirsichduft Neles Lieblingsparfum gewesen war, musste sie also glücklich sein, doch es wehten keine Glückshormone, sondern schweißgetränkter Stressgeruch aus ihrer Richtung her. Nele war sichtbar gereizt vom Umkleiden, der Packerei und meiner Widerspenstigkeit.
»Nun hilf mir doch mal!«, schnauzte sie mich böse an und warf die Taschen nur so hin und her.
Wir standen vor meiner Wohnung in Mannheim, das Unglück meiner nächsten Tage parkte aufmüpfig auf dem Gehsteig, ein R4, dessen Rostrot sich schäbig von dem türkis-gelben Sommerambiente abheben würde, in das wir zusammen fahren wollten. Ein Café, der blaue Himmel, die Sonne, die Wölkchen – das hätte ein Urlaub werden können. Rein und wieder raus, und wieder rein und wieder raus. Nele packte die Taschen hin und her,
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