Die Akademie der Abenteuer - Die Knochen der Götter
nahm er die schwarze Maske ab. Der Mann unter der Maske war genauso kahlköpfig wie der Junge. Allerdings war seine Haut heller und auch seine Augenbrauen und Wimpern waren fortgeschnitten, was ihm auch ohne Maske ein strenges und unheimliches Aussehen verlieh.
»Es sind schlechte Zeiten, wenn ein Priester seinem Gott nur im Haus des Todes in Frieden dienen darf. Aber du bist ein Angsthase.«
»Ja, Mahu«, sagte der Junge und verbeugte sich tief.
»Nauri, hörst du mir jetzt zu!«
»Ja, Mahu.«
»Dann komm mit!«
Mahu führte Nauri in das Dunkel des Gebäudes hinter sich. Ohne zu zögern, folgten die Lehrlinge ihnen.
Im Inneren stand eine steinerne Statue des Schakalgottes, dessen Maske der Priester bis eben getragen hatte. Sie war mit goldenen Ketten und anderen Schmuckstücken behängt. Auf diese deutete Mahu nun.
»Erkennst du den Schmuck, Nauri?«
»Ja, Mahu, mein Vater hat ihn für Euch gemacht!«
Der Priester nickte. »Dein Vater Suleiman ist ein kunstfertiger Goldschmied, wie manch einer von euch nubischen Sklaven. Deswegen werde ich ihn heute Nacht besuchen. Und du wirst zu ihm laufen und es ihm ankündigen, damit er mich erwartet. Aber davor wäschst du die Gottheit!«
Der Priester wies auf einen Topf mit Wasser, in dem eine große Bürste lag. Der Junge nahm der Statue den Goldschmuck ab und legte ihn vorsichtig auf den Boden. Dann begann er unter den wachsamen Augen Mahus, die Figur gründlich zu waschen.
No wandte den Blick ab und starrte in das Halbdunkel des Raumes.
»Seht euch das an«, rief er Rufus und Filine zu. Seinen Ekel hatte er offenbar überwunden. »Hier werden wirklich Mumien gemacht!«
No trat tiefer ins Halbdunkel.
Filine und Rufus folgten ihm. In einer Ecke hatten einige Arbeiter die salzbedeckten Körper der Toten vor sich und befreiten diese davon. Ein Stück daneben waren andere Arbeiter dabei, die Körper mit langen Leinenbinden zu umwinden. Daneben stand ein Priester und sang.
»So etwas«, sagte No beklommen, »habe ich noch nie gesehen. Ich habe vorher noch nie einen toten Menschen gesehen.«
Er schwieg ehrfürchtig.
Filine griff nach seiner Hand. »Keine Angst«, sagte sie. »Das Mumifizieren gehört hier zum Leben dazu. Wer es sich leisten kann, der sorgt dafür, dass er so im Totenreich weiterleben kann.«
»Kann das denn nicht jeder?«
»Die Armen nicht«, sagte Filine.
Rufus hatte das Geschehen stumm beobachtet. »Ich möchte wirklich wissen, wo diese Geschichte uns hinführt«, sagte er jetzt. »Es gibt hier so viel zu sehen. Es ist … überwältigend!«
Kaum hatte Rufus das gesagt, rieb sich No verwundert die Augen. »Was ist das denn?«
Vor den Augen der Lehrlinge begannen die Tische zu flimmern, und die Salzberge schienen sich langsam in Luft aufzulösen. Rufus schaltete als Erster. Er fuhr herum. »Die Flut löst sich auf! Der Junge. Wo ist der Junge? Wir müssen uns an ihn halten.«
»Ich sehe ihn nicht mehr!« Filine hatte sich auch umgedreht. Jetzt blickte sie verzweifelt in alle Richtungen, aber von Nauri war keine Spur zu entdecken. Dafür war die Statue sauber und wieder mit Gold behangen.
»Wo ist er hin? So schnell kann er die Statue nicht gewaschen haben!«, keuchte Rufus.
»Vielleicht gab es einen Zeitsprung«, rief No. »Versteht ihr! Wer hat denn gesagt, dass eine Flut genauso verläuft wie das wirkliche Leben? Wir haben nicht auf ihn geachtet und jetzt ist die Zeit vergangen oder so.«
»Was hat der Priester mit der Maske gesagt, wo sollte Nauri hin?«, fragte Rufus.
»Zu seinem Vater«, schrie Filine.
»Los!« Rufus rannte ins Freie. Auch der Hof begann bereits zu verschwimmen. »Er ist bestimmt durch das Tor raus.« Rufus lief auf das Tor zu.
Im selben Moment löste sich das Tor auf.
»Es ist weg«! Rufus fuhr herum. »Der Weg nach draußen ist weg. Was machen wir jetzt?«
No stöhnte. »Und ich bin schuld. Ich habe euch dazu gebracht, euch die Mumien anzugucken.«
Der blonde Lehrling wirbelte wie ein Kreisel um sich selbst. Das einzige Gebäude, dessen Umrisse er noch gut sehen konnte, war die gemauerte Halle, in der die Mumien vorbereitet wurden. Direkt daneben türmten sich einige hohe Salzberge in der Sonne.
Ohne zu zögern, nahm No Anlauf und sprang in drei mächtigen Sätzen auf den größten Salzhaufen. Das Salz rutschte unter Nos Füßen weg, aber er schaffte es, sich von der Spitze des Bergs auf das Dach zu ziehen. No richtete sich auf. Schließlich fand er das Gleichgewicht wieder und kletterte gewandt auf den
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