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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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wie ihre Verletzungen entstanden sind. Somit fehlen der Rechtsmedizin die «Anknüpfungstatsachen». Sonja A. hat kaum etwas geschildert, was sich medizinisch nachprüfen ließe. Das Gericht fragt aber immer wieder nach Varianten, die sich nicht aus der oberflächlichen Darstellung der angeblichen Tat in der tagelangen Aussage ergeben.
    Zwar ist für die beiden Institutsleiter denkbar, dass die Halsverletzung von Sonja A. von einem Messer stammt. Rothschild zeigte sich verwundert darüber, dass durch das angeblich dauernde Andrücken der Klinge vor und während der Vergewaltigung nur eine Schürfung von zwei Zentimeter Breite entstanden sein soll. «Warum landet das Messer immer wieder an derselben Stelle, warum nicht mal deutlich drüber oder drunter?»
    Kaum vorstellbar ist für Rothschild wie Püschel, dass Jörg Kachelmanns Knie die Hämatome an den Oberschenkeln von Sonja A. verursacht haben. «Was suchen die Knie eines 1,90 Meter großen Mannes», fragt Rothschild, «oberhalb der Knie einer 1,70 Meter großen Frau?» Oberstaatsanwalt Gattner erinnert ihn daran, er habe in seinem ersten Gutachten festgehalten, die Verletzungen seien «für eine Selbstbeschädigung äußerst ungewöhnlich». Rothschild sagt, das sei korrekt. Die «stumpfe Gewalt», die auf die Oberschenkel eingewirkt haben müsse, lasse «eher an Fremdbeibringung denken.»
    Am deutlichsten werden die Sachverständigen, die auf der Seite Kachelmanns sitzen, bei den Schnittverletzungen. Sonja A. war mit je einem Schnitt am Bauch, an einem Arm und einem Bein zur Polizei gekommen. Wie die Hämatome an den Oberschenkeln will sie einen Teil dieser Verletzungen erst in Gegenwart von Professor Mattern bemerkt haben.
    Für Klaus Püschel sind ihre Schnitte «zum Teil eindeutig nachgezeichnet». Typisch für solche Ritzungen sei, dass sie oberflächlich und völlig ungefährlich seien. «Das Muster», so schließt er, «spricht ganz eindeutig für Selbstbeschädigung.» Er sähe «viele Anhaltspunkte für Manipulation».

Zurück in der Vergangenheit
    «Füdlichalt» werde es in den nächsten Tagen, prophezeit am 21. Januar 2011 eine bekannte Stimme in Schaffhauser Mundart. Jörg Kachelmann ist zum ersten Mal seit langer Zeit öffentlich zu hören. Nach fast einem Jahr gibt er sein Comeback als Wetterexperte – nicht für die ARD, sondern beim kleinen Radio Basel. Beim Privatsender seines treuen Freundes Christian Heeb darf er freitagmittags das «Wochenendwetter» ansagen und auch den schweizerischen Ausdruck für «arschkalt» verwenden.
    «Arschkalt» ist es am 14. Februar 2011 in Mannheim, als eine Schar lokaler Justizvertreter eine ihrer seltenen Dienstreisen ins Ausland antritt. «Füdlichalt» ist es am nächsten Tag, kurz nach 9 Uhr, als dieselben acht Deutschen einen Zebrastreifen im Zürcher Kreis 4 überqueren. Auf dem Bürgersteig zieht das Grüppchen im Gänsemarsch seine Rollköfferchen für den Zwei-Tage-Trip hinter sich her. Im Gepäck finden sich auch Akten mit dem Zeichen 404 Js 3608/10.
    Vorne zieht der Vorsitzende Richter Michael Seidling mit einem Ersatzrichter los, ihnen dicht auf den Fersen sind zwei, die im Gerichtssaal Gegenspieler sind: der schweigsame Thomas Franz, der Anwalt von Sonja A., und Andrea Combé, die Pflichtverteidigerin Jörg Kachelmanns. Hinterher marschieren die Staatsanwälte und die übrigen Richter. Die Schöffen durften nicht mit in die Schweiz. Deswegen haben sie sich ernsthaft überlegt zu streiken.
    Obwohl Ort und Zeit des Rechtshilfetermins hätten geheim bleiben sollen, wird die Gruppe bereits erwartet. Die «Bild»-Zeitung hat herausgefunden, wo und wann der Termin stattfindet, und gleich zwei Fotografen an die Limmat entsandt. Zwei Schweizer Kollegen sind ebenfalls mit Kameras anwesend. Eifrig lichten sie die «Kachelmann-Karawane» – so heißt es bald in der Online-Ausgabe von «Bild» – ab. Der Kanton Zürich ist mit einem Großaufgebot präsent: Ein Dutzend Polizisten in Uniform und in Zivil ist aufmarschiert und sichert heute das Gebäude an der Gartenhofstrasse 17 in Zürich, in dem die Staatsanwaltschaft einen Sitz hat.
    Am Eingang stoppt die Polizei die Karawane. Ausweiskontrolle. «Da müssen wir jetzt durch», ruft einer aus der Schar mit Vorfreude in der Stimme. Er herrscht fast ein wenig Klassenfahrtstimmung. Kaum sind alle kontrolliert und drinnen, braust ein Volvo mit Appenzeller Kennzeichen heran. Am Steuer sitzt Jörg Kachelmann, Beifahrer ist Strafverteidiger Johann Schwenn. In

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