Die Akte Kachelmann
Immer wieder droht er, der Revisionsspezialist, der Kammer mit höherer Instanz. Immer wieder mahnt er: «Das Gericht sollte auf der Hut sein!»
Kaum ein Prozesstag wird vergehen, ohne dass sich Schwenn über die angebliche Verschwörung zwischen der Staatsanwaltschaft und der Herausgeberin von «Focus» und «Bunte» auslässt. In seiner zweiten Woche in Diensten des Wettermanns verlangt er sogar, die Redaktionsräume der beiden Zeitschriften zu durchsuchen. «Focus» bezeichnet die angestrebte Beschlagnahmung interner Schriftstücke und Datenträger als «Ablenkungsmanöver». Die «Bunte» sieht das ähnlich. Deren Chefredakteurin versucht die Coming-outs der ExPartnerinnen Kachelmanns im Promi-Blatt zu rechtfertigen mit einem«überragenden öffentlichen Informationsinteresse, das gerade durch solche Interviews angemessen befriedigt werde.» Kaschiert als Frage behauptet Schwenn, der große alte Mann des Münchner Verlags, Hubert Burda, habe sich früher einmal beim Intendanten des Mitteldeutschen Rundfunks dafür stark gemacht, dass Jörg Kachelmann in seinem Sender vom Bildschirm verschwinde. Als Zeuge antwortet MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze, er habe noch nie von einer solchen Intervention gehört. Ein Burda-Verlagssprecher lässt aus Bayern verlauten: «Herr Schwenn kann von seinem Recht auf Narrenfreiheit Gebrauch machen, wenn er meint, dass es seinem Mandanten hilft.» Die Kammer lehnt die Durchsuchung der Redaktionen ab.
Johann Schwenn ist keiner, der laut wird, wenn er deutlich wird. Mit still vorgetragenen Provokationen schafft er es, dass andere in Mannheim die Nerven verlieren. Am 20. Verhandlungstag brüllt Richter Bock Staatsanwalt Oltrogge an, weil Oltrogge gerade Schwenn angebrüllt hat. «Es reicht!», weist Bock Oltrogge zurecht.
Jörg Kachelmann sitzt im Auge des Sturms und beobachtet, wie alles um ihn herum aufgewirbelt wird. Ein Lächeln verkneift er sich. Streitthema ist eine Nebensache, weit weg vom Tatvorwurf: Es geht um die Frage, wer dafür verantwortlich sein soll, dass Professor Brinkmann drei Monate zuvor intensiv durchsucht worden war, als er den Gerichtssaal das erste Mal betreten wollte.
Zwanzig Verhandlungstage später hat der Rechtsmediziner einen etwas anderen Auftritt, als er es sich damals bei Prozessauftakt vorgestellt hatte. Nie hätte Brinkmann erwartet, dass die Kammer ihn für befangen erklärt.
Nun, am 13. Dezember 2010, darf er im Status des sachverständigen Zeugen zumindest noch darlegen, mit welchem Ideenreichtum und Einsatz er sich im Fall Kachelmann an die Arbeit gemacht hat. Seine Experimente würden eine gute Grundlage geben für das Drehbuch einer Forensiker-Fernsehserie wie CSI. Brinkmann ließ wenig unversucht, um die Verletzungen von Sonja A. zu imitieren. Oder andersherum: Um zu zeigen, dass die Schürfung am Hals, dieSchnitte an Arm, Bein und Bauch und die Hämatome nicht so entstanden sein können, wie die Anzeigeerstatterin es behauptet.
Die Verteidigung hatte keinen Aufwand gescheut, um Brinkmann dabei zu unterstützen. Das Tramontina-Messer aus dem Küchenset von Sonja A. war in Deutschland nicht lieferbar. Noch-Verteidiger Reinhard Birkenstock ließ eines aus den USA einfliegen. Damit ging Brinkmann zu einem Messerschleifer, der die gleichen drei Zacken entfernte wie bei der angeblichen Tatwaffe.
Damit versuchte er sich ein ähnliches Verletzungsmuster beizufügen, wie Sonja A. am Hals aufgewiesen hatte. Brinkmann drückte sich die stumpfe Seite der Klinge in den Arm und auch die scharfe, er kratzte und schabte – «ohne Erfolg», wie er sagt: Es hätten sich keine Schürfungen wie bei Sonja A. gezeigt.
Für den Fall Kachelmann beauftragte Brinkmann auch ein Ingenieurbüro: Er ließ sich einen Apparat bauen, in dem er den schwarzen Plastikgriff des Messers aus den USA einspannen konnte, um Druck in verschiedenen Stärken zu simulieren. Brinkmann schraubte das Messer mit vier Muttern waagrecht fest, die Maschine presste ihm die stumpfe Seite der Klinge in die Innenseite des Arms. Sofort tat es, so erinnert sich der sachverständige Zeuge, «fürchterlich weh». Trotz des Schmerzes wiederholte er das Experiment mehrfach, an Bizeps und Unterarm, er steigerte den Druck noch. Die Spuren, Rötungen der Haut, waren nach drei, vier Stunden verschwunden. Bei Sonja A. war die Kratzverletzung am Hals auch bei einer Kontrolluntersuchung nach zwei Tagen noch deutlich zu sehen gewesen.
Auf einem der Fotos seiner Experimente, die Brinkmann dem Gericht
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