Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Polakowski töten. Er hatte ihm eine Falle gestellt, und ich habe dazwischengefunkt. Ich habe ihn aufgefordert, die Waffe wegzulegen.«
»Dieser Aufforderung hat er aber nicht Folge geleistet.«
»So ist es.« Rath zog an seiner Zigarette. »Wie Sie meinem Bericht entnehmen können, hat er seinerseits mich aufgefordert, die Waffe wegzulegen. Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass auch er vorläufig festgenommen sei. Dass er den Tod seiner alten Weggefährten und sogar den seines Bruders bewusst in Kauf genommen habe, weil er sie loswerden wollte, dass er für den Tod von Maria Cofalka und Dietrich Aßmann verantwortlich sei.«
»Und das hat ihm gereicht, um auf Sie zu schießen.«
Rath zuckte die Achseln und verzog das Gesicht, weil seine linke Schulter schmerzte. »Offensichtlich.« Er aschte vorsichtig ab mit der rechten Hand. »Jedenfalls hat er geschossen.«
Wieder schaute Gennat in die Akte. »Ihren ersten Schuss habe ich ja verstanden«, sagte er. »Ein klassischer Fall von Notwehr. Aber warum haben Sie Wengler noch ins Auge geschossen, nachdem Sie ihn mit dem Schuss in den Hals schon kampfunfähig gemacht hatten?«
»Ich weiß es nicht, Herr Kriminalrat. Ich habe eben zweimal abgedrückt. Ich weiß, das war ein Fehler, aber es ist passiert. Vielleicht war es ein Reflex, die Todesangst, nachdem Wengler mich getroffen hatte … In solch einer Situation denkt man nicht klar nach, da reagiert man …«
»Als Polizeibeamter sollten Sie aber auch in solch einer Situation nachdenken! Dafür sind Sie schließlich ausgebildet. Gerade beim Gebrauch der Schusswaffe sollten Sie nachdenken! Vor dem Abdrücken nachdenken!«
»Jawohl, Herr Kriminalrat.«
»Die Waffe, mit der auf Sie geschossen wurde, könnte das auch eine Luger gewesen sein? Die Kollegen haben ja leider kein Projektil finden können.«
»Ich weiß es nicht, Herr Kriminalrat. Möglicherweise.«
»Ihre Schussverletzung legt das jedenfalls nahe.« Gennat seufzte. »Schade, dass wir die Waffe nicht haben.«
»Jawohl, Herr Kriminalrat.« Rath guckte wieder zerknirscht. »Es tut mir leid, dass ich Polakowski habe entkommen lassen. Aber er hat mich mit Wenglers Waffe bedroht, die er zuvor an sich genommen hatte.«
»Sie waren ebenfalls bewaffnet. Warum haben Sie nicht unverzüglich die Verfolgung aufgenommen?«
»Ich musste mich erst einmal um Gustav Wengler kümmern, der lebte doch noch.«
»Und Polizeimeister Grigat war ja leider nicht mehr bewaffnet.« Gennat schlug mit der Handfläche auf die Akte. »Mein lieber Herr Rath, es fällt mir schwer, auch nur die Hälfte dieser haarsträubenden Geschichte zu glauben.«
»Ich kann nichts dafür, Herr Kriminalrat, wenn die Wahrheit manchmal haarsträubend ist.«
Gennat schaute ihm tief in die Augen, so tief, dass es Rath tatsächlich unangenehm wurde. »Wir werden wohl niemals erfahren, was wirklich an diesem See in Masuren passiert ist.«
Hoffentlich , dachte Rath. Sonst werden sie dem armen Artur Radlewski die Hölle heißmachen. Und der hat es am allerwenigsten verdient.
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß, Herr Kriminalrat.«
»Formulieren wir es so: Sie haben sich kein einziges Mal widersprochen. Und Ihre Aussagen decken sich mit denen von Polizeimeister Grigat, also lassen wir es gut sein.«
Grigat zu bearbeiten war einfacher gewesen, als Rath befürchtet hatte. Aber die Tatsache, dass der große Mann von Treuburg tot war und Kugeln aus der Dienstwaffe des Polizeimeisters in Wenglers Leiche steckten, hatten es ihm sehr erleichtert, Grigat für seine Zwecke zu gewinnen, um eine halbwegs glaubhafte Erklärung der verwickelten Situation liefern zu können.
Gennat klopfte mit der flachen Hand auf Raths Bericht. »Zu den Dingen, die Sie hier niedergelegt haben, wird man Sie noch des Öfteren befragen. Das Ermittlungsverfahren ist noch lange nicht abgeschlossen.«
»Dessen bin ich mir bewusst, Herr Kriminalrat.«
Rath rauchte und versuchte, sich nicht von dem strengen Blick aus der Ruhe bringen zu lassen, den Gennat ihm jetzt wieder zuwarf.
»Ich hoffe«, sagte der Buddha, »Sie können es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, einen Menschen getötet und einen mutmaßlichen mehrfachen Mörder laufen gelassen zu haben.«
»Ich bitte um Vergebung, Herr Kriminalrat.«
Gennat schüttelte den Kopf. »Manchmal denke ich, Sie sind ein wenig zu katholisch.«
»Wie meinen, Herr Kriminalrat?«
»Dass Sie immerzu auf Vergebung setzen. Das wievielte Mal sitzen Sie schon bei mir und bitten darum? Ich
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