Die Akte
Für jedes Team wurde ein Anführer ausgewählt. Sie mussten East zweimal täglich Bericht erstatten, und der wiederum würde jeden Vormittag und Nachmittag mit dem Direktor zusammenkommen. An die hundert weitere Agenten würden die Straßen und das Land nach Hinweisen durchstöbern.
Voyles redete von Geheimhaltung. Die Presseleute würden ihnen folgen wie Bluthunde, dennoch durfte über die Untersuchung nicht das geringste durchsickern. Nur er, der Direktor, würde mit der Presse reden, und er würde herzlich wenig zu sagen haben.
Er setzte sich, und K. O. Lewis hielt einen weitschweifigen Monolog über die Beisetzungen und die Sicherheitsvorkehrungen und den Wunsch von Präsident Runyan, bei der Untersuchung mitzuarbeiten.
Eric East trank kalten Kaffee und starrte auf die Liste.
Im Laufe von vierunddreißig Jahren hatte Rosenberg nicht weniger als zwölfhundert Urteilsbegründungen geschrieben. Seine Produktivität setzte die Verfassungswissenschaftler immer wieder in Erstaunen. Er ignorierte gelegentlich die langweiligen Kartellfälle und Steuereinsprüche, aber wenn ein Fall auch nur den geringsten Hinweis auf ein wirklich strittiges Problem enthielt, stürzte er sich darauf. Er schrieb Mehrheitsentscheidungen, Zustimmungen zu Minderheitsvoten und viele, viele Minderheitsvoten. Oft war er als einziger anderer Meinung. Jedes heiße Eisen im Laufe von vierunddreißig Jahren war von Rosenberg auf die eine oder andere Art angepackt worden. Die Wissenschaftler und Kritiker liebten ihn. Sie publizierten Bücher und Aufsätze und Besprechungen über ihn und seine Arbeit. Darby fand fünf verschiedene Sammelbände mit seinen Urteilsbegründungen, mit Anmerkungen der Herausgeber und Fußnoten. Ein Buch enthielt ausschließlich seine großartigen Minderheitsvoten.
Am Donnerstag ließ sie ihre Vorlesungen ausfallen und verkroch sich in der Arbeitsnische im fünften Stock der Bibliothek. Die Computerausdrucke waren auf dem Fußboden ausgelegt. Die Rosenberg-Bücher waren aufgeschlagen und markiert und aufeinandergestapelt.
Es gab einen Grund für die Morde. Für Rosenberg allein wären Hass und Rache akzeptabel gewesen. Aber sobald man Jensen in die Gleichung einbezog, ergaben Hass und Rache viel weniger Sinn. Gewiss war er hassenswert gewesen, aber er hatte nicht einmal so starke Gefühle erregt wie Yount oder gar Manning.
Sie fand keine Bücher, die sich kritisch mit den Schriften von Richter Glenn Jensen auseinandersetzten. Im Laufe von sechs Jahren hatte er nur achtundzwanzig Mehrheitsentscheidungen geschrieben, weniger als alle anderen Richter. Er hatte ein paar Minderheitsvoten geschrieben und ein paar Zustimmungen geliefert, aber er war ein überaus langsamer Arbeiter. Manchmal waren seine Texte klar und einleuchtend, manchmal zusammenhanglos und kläglich.
Sie las Jensens Urteilsbegründungen. Seine Einstellung hatte sich von Jahr zu Jahr radikal geändert. Was den Schutz der Rechte krimineller Angeklagter anging, war er ziemlich konsequent gewesen, aber es gab genügend Ausnahmen, um jeden Rechtswissenschaftler zu verblüffen. Bei sieben Anläufen hatte er fünfmal für die Indianer votiert. Er hatte drei Mehrheitsentscheidungen geschrieben, die entschieden für die Belange der Umwelt eintraten. Steuerproteste hatte er fast immer unterstützt. Aber es gab keine Hinweise. Jensen war zu unberechenbar, als dass man ihn hätte ernstnehmen können. Verglichen mit den anderen acht war er harmlos.
Sie trank noch eine warme Fresca und legte ihre Notizen über Jensen fürs erste beiseite. Ihre Uhr hatte sie in eine Schublade gelegt. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Callahan war wieder nüchtern geworden und wollte am späten Abend mit ihr bei Mr. B’s im French Quarter essen. Sie musste ihn anrufen.
Dick Mabry, der gegenwärtige Redenschreiber und Wortgewaltige, saß auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch des Präsidenten und sah zu, wie Fletcher Coal und der Präsident den dritten Entwurf für einen geplanten Nachruf auf Richter Jensen lasen. Coal hatte die ersten beiden verworfen, und Mabry wusste immer noch nicht recht, was sie haben wollten. Coal schlug eine Sache vor. Der Präsident verlangte etwas anderes. Früher am Tage hatte Coal angerufen und gesagt, vergessen Sie den Nachruf, der Präsident wird an der Beisetzung nicht teilnehmen. Dann hatte der Präsident angerufen und ihn gebeten, ein paar Worte für seinen Freund Jensen aufzusetzen, der ein Freund bleiben würde, auch wenn er schwul gewesen
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