Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
melte Phelps, »dieser Raum erklärt nicht, wieso Vandaariff die gesamte Fabrikanlage in Besitz genommen hat.«
Svenson wandte sich mit aufgerissenen Augen an Miss Temple. Er hielt eine aufgeschlagene Akte in der Hand.
»Was ist das? Was haben Sie gefunden?«
Anstatt zu antworten, ging er an ihr und den Tischen vorbei zu den vollgestellten Regalen. Das Journal fiel zu Boden, und er tastete mit beiden Händen an der Wand herum.
»Doktor Svenson?«, fragte sie ängstlich.
»Was ist passiert?«, zischte Phelps.
Der Doktor fand die verborgene Tür und riss sie weit auf. Auf einem weiteren Tisch lag ein mit Ketten gefesselter Mann, nackt, bleich und reglos. Miss Temple schrie. Kardinal Chang schlug die Augen auf.
Kapitel Zwei
LAZARUS
A ls er erwachte, war auf einmal alles anders. Im einen Moment hatte Chang noch bäuchlings im Wald gelegen und war dabei gewesen zu verbluten … und im nächsten – den er im Grunde nicht mehr für möglich gehalten hätte – an einen Tisch gefesselt, nach dem schneidenden Gefühl von Metall auf Brust und Taille und um seine Gliedmaßen herum zu urteilen. Die rauen Holzbretter kratzten ihn an Rücken und Hinterbacken. Er war nackt und beinahe blind.
Ein krächzender Sprechversuch ergab ein seltsames Echo, und er stellte fest, dass sein Kopf in einer Metallhülle steckte. Er streckte die Zunge heraus und leckte an einer rechteckigen Öffnung entlang, die fest verschlossen war. Der innere Rand war verkrustet … war das Haferbrei? Offenbar versuchte jemand, ihn am Leben zu halten.
Er bog den Rücken durch, streckte sich bis zur Schmerzgrenze. Die Ketten gaben nicht nach … doch wo war der Schmerz? Die Wunde an seinem Rücken hätte ihn töten müssen – wie konnte sie so gut verheilt sein?
Wie viel Zeit war vergangen? Wie hatte er überlebt?
Er bewegte seinen Körper auf dem Holz hin und her und spannte die Gliedmaßen an, doch die Stelle, wo die Wunde hätte sein müssen, war taub. Er drehte den Kopf, und der Helm schnitt ihm in den Hals.
Chang erschrak über eine Hand auf seinem nackten Bauch, die ihn sanft tätschelte. Er zog an den Ketten und verlangte, davon befreit zu werden. Die Worte hallten in seinen Ohren wider, aber dann öffnete sich die Metallplatte über seinem Mund. Ein feuchtes Tuch wurde hindurchgesteckt, und in seine Nase drang der Geruch von Äther.
Beim erneuten Erwachen lag er auf dem Bauch, und sein Hals war durch den Helm unangenehm gekrümmt, während sich etwas Scharfes in seinen Rücken bohrte. Er blieb reglos liegen, verheimlichte seinen wachen Zustand, bis ein scharfer Schmerz seine gesamte Wirbelsäule durchfuhr und er laut stöhnte. Die Mundklappe wurde erneut geöffnet, und wieder kam der Äther. Über einen längeren Zeitraum schlief und wachte er in unregelmäßigem Rhythmus, sich stets der Anwesenheit von jemandem, von Händen auf seinem Körper und fortwährender Überwachung bewusst. Wie lange war er schon dort? Dass er lebte, schien nicht logisch zu sein. Hatte er sich nicht beschmutzt? Er konnte sich nicht erinnern. Oder war er doch gestorben – war er in der Hölle?
Er machte seine chemischen Alpträume für solche Gedanken verantwortlich und bemühte sich um Konzentration während jedes klaren Moments, um sich die Welt ins Gedächtnis zu rufen, die ihm abhanden gekommen war … sein Hotelzimmer, die slawischen Bäder, die Bibliothek und die Opiumhöhle. Die Ironie entging ihm nicht. Hatte er am Ende das Vergessen gefunden, nach dem er jahrelang getrachtet hatte?
Und Celeste? Bekümmert dachte Chang an die letzten Minuten, die sie im Wald erlebt hatten. Wie eine Idiotin hatte sie ihn geküsst, und wie ein Idiot hatte er den Kuss erwidert. Was hatte er sich dabei gedacht – sie dort im Farndickicht zu nehmen? Und dann was? Er konnte sich nur das seltsame – nein, das Wort war viel zu schwach –, das gewissenlose Danach vorstellen: Demütigung, Schuld, Dummheit. Er hatte schon genug auf dem Gewissen. Er hoffte, sie war der Contessa entkommen, hatte Svenson gefunden und war geflohen. Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen, während er sich an ihre unerwartet weichen Lippen erinnerte. Und an ihr Verlangen. Als ein Mann, dessen intime Begegnungen meist einer Verhandlung in einem Bordell folgten, wusste Chang, dass es Celestes bekundetes Verlangen war, das seinen Verstand wie ein Nagel durchbohrt hatte. Allerdings war die Vernunft zurückgekehrt. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie beide eine Straße entlangschlenderten. Doch
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