Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
Bei St. Edmundsbury, Oktober 1184
W elch ein Flug!«, rief William begeistert aus und starrte mit offenem Mund in den strahlend blauen Herbsthimmel. Übermütig stürzte er hinter dem Vogel her. Stets bemüht, das Tier nicht aus den Augen zu lassen, rannte er quer über die große Wiese, als er mit einem Mal über einen Maulwurfshügel stolperte. Ehe er sich’s versah, lag er bäuchlings im Gras, rappelte sich aber umgehend wieder auf und betrachtete stirnrunzelnd seine Handinnenflächen. Sie waren aufgeschürft und brannten wie Feuer.
Unwillkürlich trieb es ihm Tränen in die Augen. William zog geräuschvoll die Nase hoch, blinzelte kurz und leckte dann den Schmutz und die kleinen Blutperlen von seinen Händen, bevor er seine Knie begutachtete. Sie taten ebenfalls weh, bluteten aber wenigstens nicht. Auch seine Beinlinge waren unversehrt geblieben. William atmete auf. Niemand würde von seinem Missgeschick erfahren und ihn deswegen aufziehen!
Als er sich erhob und den rechten Fuß belastete, schmerzte der mehr als gewöhnlich, doch William biss die Zähne zusammen und ging ein paar Schritte. Von einem umgeknickten Knöchel ließ er sich auf keinen Fall kleinkriegen! Seit er laufen konnte, kämpfte er gegen seinen von Geburt an nach innen verdrehten Fuß an. Fest entschlossen, den stechenden Schmerz nicht weiter zu beachten, klopfte er den Staub von seinen Kleidern und straffte sich. Obwohl er nicht das geringste Bedürfnis verspürte, die ungeliebte Arbeit in der Schwertschmiede seiner Mutter wieder aufzunehmen, entschied er sich schweren Herzens für den Heimweg. Er blickte noch einmal nach oben, wo er den Vogel beobachtet hatte, den er an den langen, schmalen Flügeln und dem gegabelten Schwanz als Rotmilan erkannt hatte.
»J esus, Maria! « , entfuhr es ihm.
Ein Falke hatte den Milan inzwischen angegriffen, und nun stürzten beide Vögel im Kampf steinschwer zu Boden.
William rannte sofort los. Der schmerzende Knöchel war vergessen. Sein Herz klopfte so heftig, dass es ihm in den Ohren rauschte.
Die wilden Flügelschläge der beiden Vögel waren schon von weitem zu hören. Atemlos hielt William an und beobachtete, wie heftig die beiden Tiere miteinander kämpften. Der Greif, der den Milan angegriffen hatte, war fast weiß und ungewöhnlich groß. Einen solchen Falken hatte William noch nie gesehen, trotzdem war es eindeutig ein Falke, das konnte er an der Form seiner Atemlöcher erkennen. Er betrachtete den Vogel genauer und hielt einen Moment andächtig den Atem an, so schön war er. Die Bell, das goldene Glöckchen am Fuß des Vogels, tönte hell bei jeder seiner Bewegungen. Von den Beinen des Greifs hingen schmale Lederriemen herab. Er musste abgetragen und seinem Herrn entflogen sein.
William seufzte nachdenklich. Er war an diesem Tag schon eine ganze Weile umhergestreift, doch hatte er weit und breit keine Jagdgesellschaft gesehen. William ahnte, dass der spitze Schnabel des Rotmilans dem außergewöhnlichen weißen Falken gefährlich werden konnte, und raufte sich verzweifelt die Haare. Niemand würde dem Vogel zu Hilfe kommen, also blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst etwas zu unternehmen, um das herrliche Tier zu retten. Es dauerte nur den Bruchteil eines Augenblicks, dann lief William los. Doch der Schnabel des Milans konnte auch ihn verletzen, darum durfte er nicht einfach dazwischengehen. Immerhin konnte einem schon ein kleiner Kratzer zum Verhängnis werden. William fiel das Messer ein, das seine Mutter vor ein paar Jahren für ihn geschmiedet hatte. Er war unsagbar stolz darauf. Es hatte bunte Wellenlinien auf der Klinge und war eines der wenigen Geschenke, die sie ihm bisher gemacht hatte. William trug es immer bei sich und hütete es wie einen Schatz. Erst zwei Tage zuvor hatte er es gründlich geschärft. Nun riss er es hastig aus der Lederscheide, griff sich eine Astgabel und schnitt sie ab. Während er eilends zu den beiden Kontrahenten zurücklief, entfernte er die Blätter.
Der Falke schien bereits ein wenig geschwächt zu sein, ließ jedoch nicht von seiner Beute ab. Auch der Milan kämpfte nach wie vor todesmutig.
Langsam näherte sich William den beiden Vögeln. Als er herangekommen war, versuchte er, den Kopf des Milans mit dem Ast zu Boden zu drücken, ohne dabei den weißen Falken zu gefährden. Der Milan aber wehrte sich heftig. William zuckte beeindruckt zurück, und der Ast rutschte ab.
Wenn du den Falken retten willst, darfst du nicht so ein gottverdammter
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