Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
Klöstern mit ihren Thürmchen, alle von dem heiligen Kreuze überragt, sah er nichts als maurische Moscheen, Minarete, Kuppeln, alle mit dem glänzenden Halbmond, wie Sie ihn auf den Flaggen der Berberei sehen, geschmückt. Nun, Sennor, Sie denken sich wohl, daß Tio Nicolo mächtig verblüfft war; während er aber auf die Stadt niederblickte, marschirte eine große Armee den Berg herauf, und wand sich die Schluchten entlang zuweilen im Mondschein, zuweilen im Schatten. Als sie näher kam, sah er, daß es Fußvolk und Reiterei war, alle in maurischer Rüstung. Tio Nicolo bemühte sich, ihnen aus dem Weg zu gehen, allein sein Maulthier stand stockstill und wollte nicht von der Stelle rücken, zu gleicher Zeit zitterte es wie ein Laub – denn stumme Thiere, Sennor, erschrecken über solche Dinge eben so sehr wie menschliche Wesen. Gut, Sennor, die Koboldarmee zog daran vorüber; da waren Männer, die Trompeten zu blaßen, andere, die Trommeln zu schlagen und Cymbeln zu spielen schienen, und doch gaben sie keinen Ton von sich; alles zog ohne das mindeste Geräusch dahin, grade wie ich auf dem Theater von Granada gemalte Heere über die Bühne ziehen sah, und alle sahen blaß wie der Tod aus. Zuletzt, in dem Nachtrab der Armee ritt zwischen zwei schwarzen maurischen Reitern der Großinquisitor von Granada auf einem Maulthier, so weiß wie Schnee. Tio Nicolo wunderte sich, ihn in dieser Gesellschaft zu sehen, denn der Großinquisitor war berühmt wegen seines Hasses gegen die Mauren und, in der That gegen alle Arten von Ungläubigen, Juden und Ketzer, und pflegte sie mit Feuer und Schwert zu verfolgen. Tio Nicolo jedoch fühlte sich jetzt ganz sicher, da ihm ein Priester von solcher Heiligkeit zur Hand war. So machte er das Kreuzeszeichen und bat ihn um seinen Segen, als er, Hombre! einen Schlag erhielt, der ihn und sein altes Maulthier über den Rand eines steilen Abschusses, Kopf oben Kopf unten, zu Boden warf. Tio Nicolo kam erst lange nach Sonnenaufgang wieder zur Besinnung, wo er sich in der Tiefe einer steilen Schlucht fand, während sein Maulthier neben ihm graßte und der Schnee in seinen Körben vollkommen geschmolzen war. Er kroch, arg zerschlagen und zerquetscht nach Granada zurück, freute sich aber doch, als er fand, daß die Stadt, wie gewöhnlich aussah und christliche Kirchen und Kreuze hatte. Als er die Geschichte seines nächtlichen Abentheuers erzählte, lachte ihn alle Welt aus; einige sagten, er habe das alles, während er auf seinem Maulthier saß, geträumt; andere meinten, er habe alles selbst erdacht – allein, was seltsam war und die Leute nachher ernsthafter von der Sache denken ließ, war der Umstand, daß der Großinquisitor noch in demselben Jahre starb. Ich habe meinen Großvater, den Schneider, oft sagen hören, es stecke mehr hinter diesem Koboldheere, welches das Ebenbild des Priesters entführt habe, als die Leute zu denken wagten.«
»Ihr wollt also zu verstehen geben, Freund Mateo, es gebe eine Art maurischen Limbus oder Fegfeuers in den Eingeweiden dieser Berge, wohin der Pater Inquisitor gebracht wurde?«
»Gott behüte mich, Sennor! Ich weiß nichts von der Sache – ich erzähle nur, was ich von meinem Großvater gehört habe.«
Als Mateo seine Geschichte, die ich etwas kürzer erzählt habe und die mit vielen Erläuterungen gespickt und mit den kleinsten Einzelnheiten ausgesponnen war, beendigt hatte, erreichten wir das Thor der Alhambra.
Oertliche Sagen.
Das gemeine Volk Spaniens hat eine orientalische Leidenschaft für das Erzählen von Geschichten und ist dem Wunderbaren sehr zugethan. Sie pflegen sich an den Sommerabenden um die Thüren ihrer Hütten und im Winter in den großen höhlenartigen Kaminen der Ventas zu sammeln und lauschen mit unersättlichem Entzücken wunderbaren Heiligenlegenden, gefahrvollen Reiseabentheuern und kecken Thaten von Räubern und Schleichhändlern. Der wilde und einsame Charakter des Landes, die niedrige Stufe der Bildung, der Mangel an allgemeinen Gegenständen der Unterhaltung, und das romantische abentheuerliche Leben, das jedermann in einem Lande führt, wo das Reisen noch in seinem Urzustande ist – alles trägt dazu bei, diese Liebe für mündliche Erzählung zu nähren und einen starken Hang für das Außerordentliche und Unglaubliche zu erzeugen. Kein Gegenstand ist aber vorherrschender und beliebter, als der von Schätzen, welche von den Mauren vergraben worden; er geht das ganze Land hindurch. Wenn man die wilde Sierra, den
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