Die Alpen
kein Gut, das eurer Armut gleicht;
Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemütern,
Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht;
Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,
Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht haßt;
Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,
Die, was ihr nötig, sucht und mehrers hält für Last.
Was Epiktet getan und Seneca geschrieben,
Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben.
Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,
Der Tugend untertan und Laster edel macht;
Kein müßiger Verdruß verlängert hier die Stunden,
Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;
Hier läßt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,
Des Morgens Sorge frißt des Heutes Freude nie.
Die Freiheit teilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen,
Mit immer gleichem Maß Vergnügen, Ruh und Müh.
Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,
Man ißt, man schläft, man liebt und danket dem Geschicke.
Zwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze,
Man mißt die Straßen nicht zu Rom und zu Athen,
Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,
Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.
O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnüget?
Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;
Die Wollust wird bei ihm vergällt und nicht besieget,
Sein künstlicher Geschmack beekelt seinen Stand;
Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,
Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.
Hier macht kein wechselnd Glück die Zeiten unterschieden,
Die Tränen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;
Das Leben rinnt dahin in ungestörtem Frieden,
Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.
Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,
Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwülstig Glücke rot.
Der Jahre Lust und Müh ruhn stets auf gleicher Waage,
Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.
Nur hat die Fröhlichkeit bisweilen wenig Stunden
Dem unverdroßnen Volk nicht ohne Müh entwunden. Man sieht leicht, daß dieses Gemälde auf die vollkommene Gleichheit der Alpenleute geht, wo kein Adel und sogar kein Landvogt ist, wo keine möglichen Beförderungen eine Bewegung in den Gemütern erwecken und die Ehrsucht keinen Namen in der Landsprache hat.
Wann durch die schwüle Luft gedämpfte Winde streichen
Und ein begeistert Blut in jungen Adern glüht,
So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,
Wo Kunst und Anmut sich um Lieb und Lob bemüht.
Hier ringt ein kühnes Paar, vermählt den Ernst dem Spiele,
Umwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.
Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,
Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.
Den aber führt die Lust, was Edlers zu beginnen,
Zu einer muntern Schar von jungen Schäferinnen. Diese ganze Beschreibung ist nach dem Leben gemalt. Sie handelt von den sogenannten Bergfesten, die unter den Einwohnern der bernischen Alpen ganz gemein und mit mehr Lust und Pracht begleitet sind, als man einem Ausländer zumuten kann zu glauben. Alle die hier beschriebenen Spiele werden dabei getrieben: das Ringen und das Steinstoßen, das dem Werfen des alten Disci ganz gleich kömmt, ist eine Übung der dauerhaften Kräfte dieses Volkes.
Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weiße,
Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen jetzt durchbohrt;
Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten Gleise
Nach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.
Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen Händen
In dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schalmei:
Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Takte wenden,
So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.
Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,
Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.
Denn hier, wo die Natur allein Gesetze gibet,
Umschließt kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.
Was liebenswürdig ist, wird ohne Scheu geliebet,
Verdienst macht alles wert und Liebe macht es gleich.
Die Anmut wird hier auch in Armen schön gefunden,
Man wiegt die Gunst hier nicht für schwere Kisten hin,
Die Ehrsucht teilet nie, was Wert und Huld verbunden,
Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglücks-Kupplerin:
Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,
Man liebet für sich selbst und nicht für seine Väter.
Sobald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden,
Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schürt,
So wird des Schäfers Mund von keiner Furcht
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