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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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weiterleben, oder seitwärts flitzend in einem kurzsichtigen Taschenkrebs?
    Sein Haar zwischen meinen Fingern war hart vom Salz, nicht weich und lockig. Ich legte es auf die richtige Seite. »So, mein Liebling«, sagte ich, wischte mir mit dem Ärmel über die Nase. »So ist es richtig.« Sein kaltes Kinn hatte einen Dreitagebart – Joe musste sich nur alle paar Tage rasieren und sagte immer, er könne unmöglich Italiener sein, wäre bestimmt adoptiert. Woraufhin er sich meist übers Kinn strich und meinte: »Muss mich jede verdammte Woche rasieren.«
    In seiner Unvollkommenheit war er schön und sexy. Ich strich mit dem Finger über die leicht schiefe Nase, die etwas zu große Ohrmuschel. Als wir uns kennenlernten, hatte ich vermutet, dass er als Teenager unbeholfen war, ein Spätentwickler. Und ich hatte recht gehabt. Noch immer besaß er jene gewinnende Schüchternheit, mit der er schon in der siebten Klasse die Herzen der Mädchen gebrochen hatte und die man einfach nicht vortäuschen konnte. Er war stets ehrlich überrascht, dass Frauen ihn attraktiv fanden.
    Ich schob meine Hand unter das Laken und hielt seinen furchtbar kalten Arm, wollte ihn mit meiner Willenskraft dazu bringen, die sehnigen Muskeln anzuspannen, zu lachen und mit dem Akzent seiner Großmutter zu sagen:
Dir gefällt, Bella
? Stattdessen glaubte ich fast die Worte
Pass gut auf Annie und Zach auf
zu hören. Fast, nicht ganz.
    Ich nickte trotzdem. »Mach dir keine Sorgen, mein Liebling. Ich will nicht, dass du dir Sorgen machst, okay?«
    Ich küsste sein kaltes Gesicht und legte den Kopf auf seine eingefallene Brust, in der seine Lungen sich mit Wasser gefüllt und aus seinem Herz eine Insel gemacht hatten. So verharrte ich für lange Zeit. Die Tür ging auf, aber nicht wieder zu. Jemand wartete, vergewisserte sich, dass ich nicht zusammenbrach. Ich würde nicht zusammenbrechen. Ich musste Annie und Zach helfen, hiermit klarzukommen. Ich flüsterte: »Leb wohl, Liebster, leb wohl.«

    Ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, was nach dem Tod mit uns passiert, denn es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Ich habe Biologie studiert und fühle mich in der Natur zu Hause, und doch verstört mich die menschliche Natur, verwirren mich all die Dinge, die nicht beobachtet, benannt und katalogisiert werden können. Ich bin eine Frau der Wissenschaft, die sich auf einmal mit dem Unerklärlichen und abergläubischen Vorstellungen herumquält. So frage ich mich oft, ob Joe uns an jenem Morgen beim Schiffspielen zugesehen hat, in jener Übergangsphase vom Davor zum Danach. Hat er uns von seinen geliebten Mammutbäumen aus beobachtet, und dann von einer Wolke? Von einem Stern? Seine Fotografenseele hätte die neuen Perspektiven sicher zu schätzen gewusst, diese posthume Chance, einen Blick auf das zu werfen, was zu mächtig und zu groß war, um in ein Bild gezwängt zu werden. Oder war er der männliche Annakolibri mit der purpurroten Kehle gewesen,
Calypte anna
, der hier tagelang umherflatterte? Einmal, als ich auf der Veranda saß, flog er nur Zentimeter an meiner Nase vorbei, so nahe, dass ich den Luftschlag seiner Flügel an meiner Wange spürte.
    »Joe?« Plötzlich schoss er hoch in die Luft, und es war, als schreibe er mit seinem Auf und Ab etwas in den Himmel. Ich weiß, dass solche Sturzflüge zum Balzritual der Kolibris gehören, und doch frage ich mich jetzt, ob es Joe war, der verzweifelt versuchte, mir eine Nachricht zukommen zu lassen. Der mir hektisch seine vielen Geheimnisse mitteilen und mich warnen wollte vor dem, was er mir nie erzählt hatte.

3. Kapitel
    Frank fuhr mich vom Bestattungsinstitut nach Hause und dann weiter, um die Kinder abzuholen. Ich saß am Küchentisch und starrte die Pfeffermühle an, ein Hochzeitsgeschenk von irgendwem, ich glaube, einer Collegefreundin von mir. Joe hatte jede Menge Wind um das Geschenk gemacht, für ihn war es die perfekte Pfeffermühle, worauf ich spöttisch meinte: »Wer hätte jemals geahnt, dass es irgendwo auf der Welt eine perfekte Pfeffermühle gibt und wir die stolzen Besitzer sein würden?«
    Zach und Annie kamen hüpfend über die Veranda zur Vordertür herein. Ihr gesungenes
Mommymommymommy!
drang in meine neue verschwommene und gedämpfte Welt ein und brachte eine schneidende Klarheit mit sich. Ich zwang mich aufzustehen, Rücken gerade, fester Stand. Ich sagte ihre Namen. »Annie. Zach.« Joe hatte mir einmal erzählt, sie wären sein A bis Z, sein Alpha bis Omega. »Kommt zu

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