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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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Doppelfedern aufwies, bei denen zwei Federn aus ein und demselben Kiel wuchsen.
    »Sie sind so seltsam und so schön«, sagte sie.
    »Wie du«, sagte ich.
    Es war als Witz gemeint, aber Liz nickte. Sie hätte das Gefühl, selbst eine Art Emu zu sein, sagte sie. Vielleicht wäre das der Grund, warum sie schon, seit sie ein kleines Mädchen war, Träume vom Fliegen gehabt hätte. Sie war sicher, dass auch Emus vom Fliegen träumten. Auch das war eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen: Sie und die Emus wollten fliegen – sie hatten nur nicht die Flügel, die sie dafür brauchten.

50
    A m Montagmorgen ging ich wieder zur Schule. Der  Prozess war über zwei Tage her, aber wir wussten noch immer nicht, was wir als Nächstes machen würden. Mom wollte nach wie vor nichts wie weg aus Byler. Sie fing immer wieder von dieser hanebüchenen Baumrundreise an oder davon, in die Catskills zu fahren, oder vielleicht auch nach Chincoteague Island, um uns die wilden Ponys anzusehen. Liz weigerte sich weiter, zur Schule zu gehen. Wenn sie nicht die Emus beobachtete, war sie in unserem Zimmer und schrieb wie besessen Emu-Gedichte. Eines ging so:
    Da alles Kämpfen sinnlos ist,
    Ist jeder Emu Pazifist.
    Ein anderes ging:
    Wenn ein Emu Schnupfen hat
    Und kein Schnupftuch ist parat,
    Hält er sich an die Devise:
    Wenn du niest, nies in die Wiese.
    Und dann war da noch:
    Emus lesen interessiert,
    Was so in der Welt passiert,
    Ob allein
    Oder zu zwei’n.
    Doch sie starren
    Und verharren,
    Fragt man einen,
    Was sie meinen.
    Dann tun sie ganz konfus,
    Die Emus.
    Am Mittwochnachmittag kam Tater mit zwei Freunden in einem Pick-up. Sie hatten einen leeren Viehanhänger dabei. Tater war ein kleiner Mann mit Hängeschultern, rotblondem Haar und einem verkniffenen, humorlosen Mund. Er bedankte sich kaum dafür, dass wir auf die Emus aufgepasst hatten, und fing gleich an, sich über die blöden Vögel zu beschweren: wie viel Ärger er mit ihnen hatte, dass sie das schlechteste Geschäft seines Lebens gewesen wären. Ein Typ drüben in Culpeper County hatte sie ihm als Zuchtpaar verkauft, nachdem er ihm eingeredet hatte, Emu-Fleisch und Emu-Eier würden demnächst groß in Mode kommen, aber die beiden zeigten keinerlei Interesse an Fortpflanzung, und das Weibchen hatte noch kein einziges Ei gelegt. Er hätte sie ja schon längst zu Grillfleisch verarbeitet, doch dann hatte er erfahren, das Fleisch würde fürchterlich schmecken – wie Schuhleder. Und jetzt liefen diese verdammten Vögel hier rum, jagten dem Vieh Angst ein und hinterließen überall große Haufen Emu-Kacke. Die waren zu nichts zu gebrauchen, außer vielleicht als Bärenköder.
    Onkel Tinsley gab Handzeichen, während Tater den Anhänger rückwärts an das Gatter setzte. Dann gingen wir alle auf die Wiese. Nur Mom hielt sich zurück und erklärte, sie habe nicht die richtigen Schuhe für so was an. Außerdem traue sie diesen Emus nicht über den Weg – die könnten jeden Moment auf uns losgehen.
    Liz hatte Brot mitgebracht und versuchte, die Emus in den Anhänger zu locken, aber als die beiden in die Nähe der Rampe kamen, spähten sie in das dunkle, enge Innere, sahen Liz mit ihren lustigen Schielaugen an und trabten davon. Über eine Stunde lang versuchten wir, die Emus laut rufend und Arme schwenkend Richtung Anhänger zu scheuchen. Es klappte nicht. Jedes Mal, wenn sie dicht davor waren, kreischten sie auf, flatterten mit ihren Stummelflügelchen und entwischten uns wieder. Einmal gelang es Tater, Eunice’ Hals zu packen, doch der Vogel trat mit einem seiner riesigen Krallenfüße aus, und Tater musste zurückspringen. »Scheißvögel«, sagte er. »Die sind saublöd. Ich sollte sie einfach abknallen.«
    »Sie sind nicht blöd«, widersprach Liz ihm. »Sie haben bloß ihren eigenen Kopf. Und warum sollten sie tun, was wir wollen?«
    »Ich hasse diese hässlichen Biester«, sagte er.
    »Sie hassen sie?«, fragte Liz ungläubig. »Ich finde sie wunderbar!«
    Tater stutzte und sah Liz an. »Du findest sie wunderbar?«, wiederholte er. »Dann behalt sie doch! Von mir aus kannst du sie haben.«
    »Oh Gott«, sagte Liz. Und sie sank tatsächlich auf die Knie und streckte die Arme aus. »Danke! Vielen, vielen Dank!«
    Tater sah Liz an, als wäre sie vollkommen verrückt.
    »Moment mal«, sagte Onkel Tinsley. »Wir können die Emus nicht einfach behalten! Wer soll sich denn um sie kümmern?«
    »Ich«, sagte Liz.
    »Ich auch«, sagte ich.
    »Bitte!«, sagte Liz.
    »Das ist eine große

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