Die Anderen - Das Dämonenmal (German Edition)
wohl sicher fühlen und im Gegensatz zu Roberts Befürchtungen verspürte er seit dem Biss weder Hunger nach besonders blutigen Steaks noch tat ihm das Sonnenlicht in den Augen weh. Anscheinend machte ihm der Anblick eines Kreuzes auch keine Probleme. Nicht mehr als sonst auch.
Lächelnd erinnerte er sich an ihr letztes Gespräch beim Frühstück. Die Fragen nach genau diesen Gelüsten hatte Robert zuerst gestellt und ihn dabei prüfend angesehen. Dann hatte er urplötzlich das Kettchen hervorgeholt und das Kreuz direkt vor Finns Augen gehalten. Wohl um ganz sicher zu gehen, dass sich Finn nicht in einen Vampir verwandelt hatte.
Soweit schien Hollywood unrecht zu haben, denn Finn hatte das Kreuz nur verblüfft angestarrt, wie es da so vor seinen Augen hin und her gebaumelt hatte. Sie hatten daraufhin beide losgelacht und Robert hatte ihm das Kettchen schließlich in die Hand gedrückt und dann sehr ernsthaft gesagt, dass es jetzt sein Schutz gegen weitere Vampirattacken sein würde.
„Kreuze mögen die doch nicht. Wenn wieder einer versucht, dich zu beißen, dann sieht er hoffentlich das Kreuz und lässt es schön bleiben. Und Silber hilft doch auch irgendwie, oder? Vielleicht sogar gegen Werwölfe“, hatte Robert unbeholfen resümiert. „Egal! Hauptsache, du hast etwas Schutz“.
Robert war schon eine Marke für sich. Finn grinste, beeilte sich mit seiner Morgentoilette und zog sich rasch an.
Gestern hatte er einen Job als Fahrradkurier bekommen und würde heute seine erste Tour fahren. Dazu wollte er nicht zu spät kommen. Der Job behagte ihm, weil er viel unterwegs sein würde und er sich prinzipiell gerne sportlich betätigte. Bislang war er hier in Hamburg nicht mehr viel dazu gekommen. Joggen machte ihm in dieser Stadt keinen Spaß, wo er höchstens an Straßen entlanglaufen konnte, weil die wenigen Grünanlagen eigentlich immer von viel zu vielen Menschen übervölkert waren. Der Aufwand, nur für ein paar Stunden frische Luft in die Vororte zu fahren, war ihm allerdings dann doch zuviel.
Finn schulterte seine Tasche und machte sich auf den Weg. Bald schon würde er dieses merkwürdige Erlebnis vergessen haben. Vampire waren nur Hollywoodlegenden!
Das Büro lag in einem der modernen gläsernen Gebäude an der Alster, die nur aus Glas und Luft zu bestehen schienen. Ein gewaltiges Schild am Eingang wies das Gebäude als Sitz der Firma „Duncan-Immobilien“ aus.
Der drahtige Mann im dunklen Anzug seufzte leise, als er das Gebäude betrat. Die Büroräume waren im obersten Stockwerk, obwohl das gesamte Gebäude der Immobilienfirma gehörte. Es bedeutete, dass er entweder die ganzen Stufen nach oben laufen oder sich des ungeliebten Fahrstuhls bedienen musste. Beides unangenehm. Letztlich entschied er sich für den engen Fahrstuhl, nicht ohne dabei erneut unwillig aufzuseufzen. Die silbernen Türen schlossen sich vor Russell und er starrte in dem matten Metall der Fahrstuhlwand missmutig sein Spiegelbild an. Kritisch zupfte er sich die schwarze Krawatte zurecht. Sie hatte feine Ornamente in Weinrot, die so zart waren, dass sie kaum auffielen, jedoch hervorragend zu seinem edlen, weinroten Hemd passten. Der Anzug saß perfekt und betonte sein dunkles, geheimnisvolles Aussehen. Insgesamt war er mit seiner Erscheinung durchaus zufrieden. Sein dunkles Haar hatte einen modernen Schnitt und umrahmte ein blasses, scharf geschnittenes Gesicht mit dunklen Augen, die schon fast stechend wirkten. Stechend ja, nur nicht genügend bedrohlich. Russell verzog leicht die Mundwinkel und lächelte sein mattes Spiegelbild an. Schon besser. Das Lächeln hatte auf jeden Fall etwas Gefährliches an sich, auch wenn seine Erscheinung ansonsten eher unauffällig war. Gut, denn das war ja auch so beabsichtigt. Sein Unwohlsein verbarg er damit, dass er leise vor sich hin summte, während er das Wechseln der Zahlen auf der Anzeige über seinem Kopf beobachtete.
Fünf Stockwerke hoch erhob sich das silberne Glasgebäude in den blauen Morgenhimmel und erst im zweiten Stock stieg eine junge Frau ein. Offensichtlich eine Sekretärin , bemerkte Russell. Sie trug ein gestreiftes Hemd, die Haare waren recht streng hochgesteckt und unter einem halblangen Rock zeigten sich lange Beine. Sie nickte ihm kurz zu und er schenkte ihr ein feines Lächeln, bei dem sich lediglich seine Mundwinkel bewegten. Ihr menschlicher Duft umwehte ihn sofort, wurde geringfügig von einem Parfüm überlagert, welches für ihn weitaus weniger anziehend war.
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