Die Angstmacher
dafür bezahlen. Das hat Steinhardt getan, aber das nützt ihm nichts. Ist er ein Einzelfall? Wohl kaum. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Die Branche veröffentlicht nicht, wie viele Anträge auf Renten wegen einer Berufsunfähigkeit sie ablehnt. Branchenkenner gehen davon aus, dass es 30 bis 40 Prozent sind. Aber solange sich die Assekuranz querstellt und die echten Zahlen nicht herausgibt, kann das nur eine Vermutung sein.
Dabei wäre die Quote sehr aufschlussreich. Und zwar die jedes einzelnen Unternehmens. Kunden könnten ihre Kaufentscheidung auch von diesem Faktor abhängig machen. Der Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski von der Berliner Humboldt-Universität fordert, dass die Gesellschaften Kunden vor Abschluss über die Ablehnungsquoten informieren. »Die Ablehnungsquote sollte im Produktinformationsblatt stehen«, sagt er. Dieses Blatt müssen die Versicherer Kunden vordem Abschluss aushändigen. Experten gehen davon aus, dass nur bei 5 Prozent der Ablehnungen der Kunde vor Gericht zieht. Denn nicht jeder kann sich einen Prozess leisten, zumal bekannt ist, dass die Versicherer durch alle Instanzen gehen. »Die Versicherer können die Ablehnung im Leistungsfall strategisch einsetzen und damit kalkulieren«, sagt Professor Schwintowski. So können sie niedrige Prämien anbieten. Geringer Beitrag und hohe Ablehnungsquote – das könnte Kunden eine Warnung sein.
Die Anbieter verweisen gerne darauf, dass die Ablehnungsquote nichts sagt, weil viele Kunden unberechtigterweise einen Antrag stellen. Selbst wenn das richtig sein sollte: Der Fehler liegt bei den Unternehmen. Hohe berechtigte Ablehnungsquoten wären ein Zeichen dafür, dass die Policen systematisch falsch verkauft werden. Haben viele Kunden eine völlig falsche Vorstellung vom Leistungsumfang, läuft etwas in der Kommunikation zwischen Vermittler und Verbraucher schief. Wie soll der Kunde das ändern? Sind bei vielen Antragstellern vor dem Abschluss die Angaben zum Gesundheitszustand falsch, hat der Versicherer ein Problem mit seinen Verkäufern. Die Vermittler müssen dafür sorgen, dass dem Kunden klar ist, dass er seinen Vertrag gleich wegwerfen kann, wenn er Vorerkrankungen verschweigt – auch die, die mit einer späteren Berufsunfähigkeit nichts zu tun haben. In freier Wildbahn machen Vertreter aber nicht selten das genaue Gegenteil. Sie reden Vorerkrankungen und Untersuchungen klein, sodass der Interessent sie nicht angibt. Später kann der Verbraucher nicht nachweisen, dass der Vertreter ihn dazu ermuntert hat.
Der Versicherer ist immer in der stärkeren Position. Der Kunde muss beweisen, dass er nicht mehr arbeiten kann. Er muss in einer extremen Krisensituation, in der sein ganzes bisheriges Leben infrage steht, seitenweise Anträge ausfüllen. Die Meldung der Berufsunfähigkeit ist eine anspruchsvolle Angelegenheit. »Der Laie ist damit überfordert«, sagt Versicherungsberater Stefan Albers. Anders als Vertreter oder Makler dürfen echte Versicherungsberater wie Albers keine Policen verkaufen, sondern nur empfehlen. Sie dürfen kein Geld vom Versicherer nehmen. Der Kunde zahlt für die Beratung ein Honorar. Auch wenn er einen Schaden hat, kann er den Berater in Anspruch nehmen. Und im Falle einer Berufsunfähigkeit sollten die Betroffenen Hilfe suchen, sagt Albers. Den Schaden einfach zu melden, kann für den Betroffenen schlimme Folgen haben. Er bekommt kein Geld und ist finanziell erledigt.
Um nicht oder weniger zahlen zu müssen, lassen sich die Versicherer einiges einfallen. Die Alte Leipziger hat in der Berufsunfähigkeitsversicherung etwas, was Versicherungsmakler ein »negatives Alleinstellungsmerkmal« nennen. Sie verkauft Berufsunfähigkeitspolicen mit Dynamik, das heißt mit einer vorgesehenen Anpassung von Beiträgen und Leistungen. Anders als bei Wettbewerbern gibt es keine Begrenzung für die Dynamik. Beantragt ein Kunde eine Berufsunfähigkeitsrente mit einer Jahresleistung von mehr als 40 000 Euro, prüft der Versicherer, ob in jedem einzelnen Jahr mit Beitragsanpassung infolge der Dynamisierung auch das Einkommen des Kunden entsprechend gestiegen ist. Ist das nicht der Fall, bekommt der Berufsunfähige seine Beiträge für die Anpassung zurück, und die Rente bleibt auf dem niedrigeren Niveau vor der Dynamisierung. Bei Kunden, die nicht berufsunfähig werden, prüft der Versicherer nicht, ob ihr Einkommen entsprechend der Dynamisierung gestiegen ist. Aber er nimmt von den Kunden die höheren Prämien. Sie
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