Die Angstmacher
Bei der Versicherung von Auto, Haus und Wertgegenständen liegt eine Menge im Argen, die Versicherer werden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Auch hier verzögern und verschleppen sie die Regulierung, Haftpflichtversicherer treiben Unfallopfer erst in den Ruin und dann in den Wahnsinn. Für Verbraucher – nicht Geschädigte! – gibt es immerhin einen schwachen Trost: Hier gibt es wenigstens so etwas wie Wettbewerb. Kunden können in überschaubaren Zeiträumen ihren Vertrag kündigen und zu einem anderen Anbieter wechseln.
Bei den großen Lebensrisiken ist das anders. Wer sich einmal für einen Berufsunfähigkeits-, einen privaten Renten- oder einen privaten Krankenversicherer entschieden hat, der kann nur unter hohen Verlusten zu einem anderen wechseln. Er istdem Anbieter ausgeliefert. Und das, obwohl Verbraucher kaum die Möglichkeit haben zu erkennen, worauf genau sie sich mit der Unterschrift unter den Vertrag einlassen. Die unzähligen Angebote der Branche zu überschauen ist für Laien schier unmöglich. Sie zu vergleichen ebenfalls. Die eine Gesellschaft baut hier einen kleinen Zusatzbaustein ein, die andere dort. Die eine rechnet finanzielle Zuwendungen neben der Provision an Vermittler in die Abschlusskosten ein, die andere nicht. Kunden sind keine gleichberechtigten Akteure, die mit den Anbietern auf Augenhöhe verhandeln. In der Versicherungswirtschaft sorgen Angebot und Nachfrage nicht für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Unternehmen und Verbrauchern. »Es gibt ein strukturelles Kontrolldefizit«, sagt der Rechtswissenschaftler Schwintowski. Ein Teil der Verträge bringt keine Probleme für die Kunden. Sie haben nie einen Schaden, nie einen Unfall. Dass sie viel zu viel Beiträge zahlen, fällt ihnen nicht auf. Dass die versprochene Leistung schlecht ist, auch nicht. »In der Lebensversicherung fällt Verbrauchern ein schlechter Vertrag erst auf, wenn es zu spät ist«, sagt Schwintowski. Dann wundern sich die Kunden, dass die Auszahlung oder Rente so gering ist. Dagegen etwas unternehmen können sie nicht. Zwar bekommen Kunden jedes Jahr die sogenannte Standmeldung, aus der hervorgeht, wie hoch das angesparte Vermögen ist. In den ersten Jahren ist das sehr wenig, weil von den gezahlten Beiträgen die Provision für den Vermittler gezahlt wird. Deshalb irritieren die Standmeldungen, und Verbraucher vertrauen oft auf das, was ihnen ursprünglich vom Verkäufer versprochen wurde.
Statt in diese ungleiche Geschäftsbeziehung einzugreifen und die Rechte der Kunden zu stärken, liefert der Staat die Bürger dieser Branche immer mehr aus. Fast jede Sozialreform reißt eine Lücke, die die Assekuranz geschickt zu füllen weiß. Die Rente mit 67 ist für viele Berufsgruppen eine Illusion, weil körperlich schwer Arbeitende aus gesundheitlichen Gründen nicht so lange in ihrem Beruf arbeiten können. Die Assekuranz hat eine für sie selbst gewinnbringende Lösung parat: Lebensarbeitszeitkonten. Dann können die Beschäftigten vorarbeiten und Überstunden machen, den Lohn packt der Arbeitgeber auf ein Konto bei Finanzdienstleistern. Dafür kassieren die viel Geld. Die Beschäftigten müssen nicht nur für ihren Vorruhestand ackern, sondern auch für die Rendite der Unternehmen. Für die Kürzung der gesetzlichen Rentenansprüche scheinen die Versicherer ebenfalls die ideale Lösung parat zu haben: private Rentenversicherungen in Tausenden von Varianten. Der Staat treibt das voran. Die Kunden sollen Verträge bei privaten Anbietern kaufen, bei denen sie nicht den Hauch einer Chance haben, das Preis-Leistungs-Verhältnis zu durchschauen.
Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen für immer weniger, und immer mehr Menschen meinen, nur mit dem Abschluss einer Krankenzusatzversicherung gut versorgt zu sein. Oder sie wechseln direkt in eine private Krankenversicherung und wundern sich nachher, dass sie weniger bekommen als die Kassenpatienten. Die gesetzliche Krankenversicherung und die gesetzliche Rentenversicherung tragen den Namensbestandteil »Versicherung«. Sie sind aber etwas völlig anderes als die privaten Versicherungen. Deshalb werden sie auch »Kassen« genannt, das betont den Charakter dieser Einrichtungen als Teil eines solidarischen Systems. Häufig werden auch private Krankenversicherungen »Privatkassen« genannt. Vor allem Beamte sprechen gerne von »Krankenkasse«, wenn sie ihre private Krankenversicherung meinen. Aber damit verkennen sie, dass es sich um Unternehmen
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