Die Angstmacher
handelt. Die gesetzlichen Kranken- und Rentenkassen sind Teil des Sozialstaats. Sie sind keine Unternehmen, sie sollen keine Gewinne erwirtschaften, die an Aktionäre ausgeschüttet oder als Vermögen angelegt werden. Über die Leistungen entscheidet der Gesetzgeber, von der Politik beauftragte Gremien oder die Selbstverwaltung. Die Kassen sorgen in gewissem Umfang für den Ausgleich zwischen wirtschaftlich Schwachen und Starken, zwischen Kranken und Gesunden. Wie hoch der Krankenkassenbeitrag ist, hängt nicht vom Gesundheitszustand des Mitglieds ab, allein das Einkommen entscheidet darüber. Für die Prämie beim privaten Krankenversicherer ist das Gehalt unerheblich, hier kommt es auf das Alter und den Gesundheitszustand an. Private Versicherer verschärfen den Unterschied zwischen Schwachen und Starken, sie belohnen die Gesunden und Privilegierten und bestrafen diejenigen, mit denen es das Leben ohnehin nicht besonders gut gemeint hat. Wer krank ist, bekommt keine oder nur eine extrem teure Berufsunfähigkeits- oder private Krankenversicherung.
Unter dem Schlagwort von der »Eigenverantwortung« der Bürger fordern Versicherungsmanager und Politiker Hand in Hand, dass die gesetzlichen Kassen immer später, weniger oder vieles gar nicht mehr bezahlen. Sie führen Argumente an, die immer wieder sehr gut funktionieren: weniger Leistungen gleich geringere Sozialabgaben gleich mehr Arbeitsplätze. Die künftigen Renten reichen nicht zum Leben. Viele Behandlungen müssen gesetzlich Versicherte selbst zahlen. Und wenn es nach dem Willen vieler Politiker und erst recht der Manager in den Vorstandsetagen der Versicherungsunternehmen geht, wird das immer mehr zur Regel werden. Das Kalkül: Aus Angst, eines Tages die erforderliche Behandlung nicht zahlen zu können oder im Alter darben zu müssen, decken sich immer mehr Kunden mit immer mehr Policen ein. Früher hat die Gesellschaft wenigstens die schlimmsten finanziellen Folgen von Schicksalsschlägen abgefedert. Doch der Staat scheint den Anspruch aufgeben zu wollen, die Bürger vor existenziellen Risiken zu schützen.
Hartz-IV-sichere Verträge
Die Bundesrepublik hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten tief gewandelt. Die Arbeitsmarktreformen haben das Phänomen der Scheinselbstständigen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und eine im Mittelstand inzwischen tief verwurzelte Angst vor Verarmung gebracht. Der Begriff »Hartz IV« ist zur Chiffre geworden für das, was dem droht, der arbeitslos oder krank wirdund deshalb verarmt. Mit dem Kauf einer Versicherungspolice wollen sich Bürger vor dem sozialen Abstieg wegen einer Berufsunfähigkeit schützen. Die Rücklagen fürs Alter wollen sie nicht angreifen müssen, weil sie erwerbslos werden. Das Häuschen verkaufen zu müssen, in dem man den Lebensabend verbringen will, und von Hartz IV zu leben, diese Furcht ist für Verkäufer von Versicherungen der ideale Nährboden. Die Unternehmen nutzen die Angst vor Verarmung aus, um renditeschwache und teure Verträge an den Mann und die Frau zu bringen. Sie werben damit, dass ihre Policen »Hartz-IV-sicher« sind. Das heißt, der Kunde muss diese Verträge nicht kündigen und das angesparte Kapital verwerten, bevor er staatliche Fürsorgeleistungen bekommt. Eine der ersten Taten der 2009 gewählten schwarz-gelben Koalition war die Erhöhung der Freibeträge für Vermögen in Versicherungsverträgen. Das sah aus, als hätten die Unionsparteien und die FDP ihr Herz für Arme entdeckt. Letztendlich nützte das aber nur der Assekuranz.
Nicht nur teilweise, sondern ganz »Hartz-IV-sicher« sind Riester- und Rürup-Renten, ausgerechnet Verträge, die nach zwei Protagonisten aus der politischen Sphäre benannt sind, die in die Finanzindustrie gewechselt sind. Namenspatron der mit Zulagen geförderten Altersvorsorge ist der ehemalige Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD), der mittlerweile beim Riester-Renten-Marktführer Union Investment angedockt hat. Erfinder der mit Steuervorteilen vom Staat geförderten Rente für Selbstständige ist der Ökonom Bert Rürup, als Wirtschaftsweiser und in anderen Funktionen langjähriger Berater der Bundesregierung. Er hat mit dem umstrittenen Gründer des aggressiven Finanzvertriebs AWD Carsten Maschmeyer ein gemeinsames Beratungsunternehmen aufgemacht. Die Rürup-Rente wird von den Vertrieben gerne mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzpolice verkauft. Auch diese Mini-Police wird vom Staat wie der Aufbau der Altersvorsorge steuerlich
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