Die Ankunft
meinem Wohlbefinden zu erkundigen. Ihr verzieh ich das Fernbleiben im Krankenhaus, sie konnte wirklich nicht kommen. Sie arbeitete als Auszubildende mit ihrer Mutter im Rathaus und war dort unentbehrlich. Während der Schulzeit hatten wir hin und wieder den Unterricht geschwänzt und waren nach Moosberg in die Eisdiele oder nach Gallburg zum Shoppen gefahren. Jetzt war so etwas unmöglich. Ihre Mutter achtete pingelig darauf, dass sie die Pausen einhielt und während der Arbeitszeit ununterbrochen am Platz war. Da halfen nicht einmal eine Erkältung oder PMS.
»Worum geht es heute eigentlich?«, fragte ich Viviane.
Sie lächelte triumphierend, so dass ihre blauen Augen strahlten. »Wir bekommen Zuwachs«, sagte sie.
»Was? Ist deine Mutter noch mal schwanger?« Ich war völlig entgeistert.
»Nein, natürlich nicht«, korrigierte sie mich. »Ich auch nicht, falls dich das interessiert. Aber es gibt einen neuen Dorfbewohner.«
Ich fragte mich für einen Moment, wer das wohl sein könnte, als mein Blick auf einen braunen Haarschopf in der ersten Reihe fiel. Er saß neben Matze und sprach mit ihm. Mein Herz schlug eine Spur schneller. War das der Fremde?
Nun trat der stellvertretende Bürgermeister nach vorn. Sofort verstummten die Gespräche. Es wurde mucksmäuschenstill.
»Liebe Mitbewohner und Bürger dieses schönen Örtchens. Es freut mich sehr, dass ihr heute alle so zahlreich hier versammelt seid. Ich habe euch im Namen des Bürgermeisters, der sicherlich gute Gründe hat, nicht selbst anwesend zu sein, eine frohe Botschaft mitzuteilen.« Er nickte dem braunen Haarschopf zu, und der Mann stand auf. »Robert Bauer«, fuhr Matze fort, »ein angesehener Arzt aus Berlin, wird sich bei uns niederlassen.«
Jubel und tosender Beifall gingen durch die Menge der Anwesenden.
Robert lächelte verhalten und hob die Hand, um Ruhe zu erbitten.
»Ich weiß nicht, wie lange ich hier sein kann, da mich möglicherweise weitere Geschäfte rufen können, aber solange es mir möglich ist, werde ich hier im Ort für die medizinische Betreuung der Dorfbewohner zur Verfügung stehen.«
Erneut ertönte Jubel, allerdings nicht mehr ganz so euphorisch wie beim ersten Mal.
Ich jubelte mit, so laut ich konnte. Ich war mir sicher, dass ich ohne ihn wahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre. Ich wusste nicht, was er getan hatte, aber er musste ein großartiger Arzt sein. »Lang lebe unser Arzt!«, rief ich, und die Dorfbewohner stimmten mit ein. Robert hatte mich entdeckt und lächelte mich an.
»Vielen Dank für das Vertrauen.«
Nun übernahm Matze wieder das Wort. Er schwärmte noch ein wenig von Robert und dessen Fähigkeiten als Arzt. Er überreichte ihm den Schlüssel zu einem Haus in der Nähe des Ortszentrums, das einmal ein Mediziner bewohnt hatte und nun als Arzthaus galt, jedoch seit Jahren leer stand.
Viviane fragte mich in der Zwischenzeit über meinem Unfall aus, und ich erzählte ihr sämtliche Details, an die ich mich erinnerte, obwohl ich es schon am Telefon getan hatte. Zudem hatte Kurt ihr seine Version mitgeteilt. Wenn man ihm Glauben schenken durfte, war ich wie eine Puppe durch die Luft geflogen, von mehreren Motorhauben abgeprallt, bis ich halb zerquetscht auf der Fahrbahn lag, während das Leben aus mir wich. Robert und er hätten mich von der Autobahn gezerrt, damit mich nicht noch jemand überrollte, und in die Tankstelle gelegt. Ich hätte ausgesehen wie der Tod persönlich und geblutet wie eine Ziege nach der Schlachtung. Kein Knochen sei heil, meine inneren Organe seien Matsch gewesen. Offensichtlich besaß Kurt mehr Fantasie als ich ihm zugetraut hatte. Viviane berichtete nun, dass sie noch am Abend mit meiner Mutter zu mir ins Krankenhaus gewollt hatte, aber abgewimmelt worden war, weil ich mit Schmerzmitteln vollgepumpt schlief.
»Es ist ein Wunder«, murmelte sie andächtig und berührte meinen Arm, als wolle sie fühlen, ob der auch wirklich echt sei.
Als das Dorfmeeting vorüber war, wollte ich mit ihr noch ein wenig an der Bar des Clubhauses abhängen und eine Cola trinken, doch Pedro verstellte mir den Weg.
»Moona, ich denke, wir sollten uns noch einmal in Ruhe unterhalten über das, was vorgefallen ist. Ich kann es wieder gut machen.« Er fasste mich um die Taille und wollte mich an sich ziehen, doch ich schob ihn erneut weg.
»Mir ist heute nicht danach, wirklich nicht.«
Er sah sich um, ob jemand bemerkt hatte, dass ich ihn ablehnte, dann beugte er sich zu meinem Ohr. »Dann lass uns wenigstens
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