Die Arbeit der Nacht
oder das Wort Finnland, geschah nichts. Wenn man Italien las, fühlte man Weichheit, es war ein anschmiegsames Wort. Andererseits, wenn man Eire sagte und Suomi, klang das schon viel besser.
Oft hatte er bemerkt, daß er an einem Wort irre werden konnte, wenn er es mehrmals hintereinander las. Nicht selten begann er sich zu fragen, ob es falsch geschrieben war. Ein beliebiges Wort, kein außergewöhnliches, zum Beispiel »flackern«. Flackern. F. L. A. C. K. E. R. N. Fla-kern. Fla-ckern. Flack. Flack-ern. Jedes Wort hatte etwas, das man nicht ergründen konnte. Es war, als sei das Wort eine Fälschung, habe nichts zu tun mit dem, was es beschrieb.
Mund.
Fuß.
Hals.
Hand.
Jonas. Jo-nas.
Es war ihm immer schwergefallen, seinen Namen zu lesen und zu glauben, daß dieses Wort ihn bezeichnete. Auf einem Papier stand der Name Jonas. Diese Linien, diese Buchstaben bedeuteten: jener Mensch. Mensch. Auch so ein Wort. Mennschsch. Mennnnsch. Schhhhh.
Kurz nach Bolton, es war später Nachmittag, klappte er den Sitz zurück. Er stieg noch einmal aus und vergewisserte sich, daß im Kofferraum kein Wagenheber lag und daß er kein Messer mitführte. Von innen verriegelte er alle Türen.
Als er die Augen öffnete, war es dunkel. Er saß im Auto. Die Umgebung schien sich verändert zu haben.
Drei Uhr morgens. Es roch nach Regen. Er fror, dagegen hatte er weder Hunger noch Durst. Er schaltete die Innenbeleuchtung ein. Er rieb sich das Gesicht. Es fühlte sich schmierig an. Er starrte auf seine Hände. Eine Spaghettinudel klebte an seinem Daumenballen. Der Geschmack von blutigem Fleisch lag ihm auf der Zunge. Sein Atem roch nach etwas, er roch – nach Wein. Der Geruch war ihm unangenehm. Er wühlte in den Taschen. Kein Kaugummi. Nichts, was den Geschmack in seinem Mund hätte beseitigen können.
Er drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang nicht an. Die Tankanzeige stand auf 0.
Er stieg aus. Der Boden war naß. Es nieselte. In einigen hundert Metern Entfernung brannte Licht in einem Fenster. Er ging darauf zu. Unterwegs staunte er, als er die Umrisse eines Flugzeugs sah. Dahinter entdeckte er ein weiteres und gleich noch eines. Er fragte sich, ob er träumte. Er lief hin, berührte das Fahrgestell und die Reifen. Es war real.
»Hooo!« wollte er rufen, doch er wagte es nicht.
Je näher er dem erleuchteten Fenster kam, desto unverständlicher wurde ihm die Lage. Wo war er? Auf einem Flugplatz oder Flughafen, das war offenkundig. Doch wo? Bolton? Liverpool?
Er ging langsamer. Er blickte zu dem Fenster hoch. Es schien zu einem Büro zu gehören. Auch Zimmerpflanzen meinte er hinter halb heruntergelassenen Jalousien zu sehen.
Er war sich nicht sicher, ob ihn dort oben nur Gutes erwartete.
Er drehte sich um. Sah niemanden. Konnte in der Dunkelheit nicht einmal Konturen ausmachen. Er ahnte nur ungefähr die Richtung, wo das Auto stand.
Er hatte nicht das Gefühl, daß jemand in der Nähe war. Im Gegenteil, er fühlte sich so fern von allem wie nie zuvor in seinem Leben. Dennoch hielt er es für besser, den Standort zu wechseln. So lief er fünfzig Meter, wobei er lautlos Haken schlug. Er gelangte zu einem großen Schild an der Wand des Gebäudes.
Exeter Airport.
Exeter, das war doch nicht möglich. Exeter kannte er dem Namen nach, weil hier spezielle Stoffe erzeugt wurden, die man wiederum zur Weiterverarbeitung von Vollholz für Möbel brauchte. Er war nie hiergewesen, aber er wußte ungefähr, wo der Ort lag. Nämlich weit im Süden, schon fast am Meer.
Er war tagsüber ganz umsonst gefahren.
Er mußte rülpsen. Weingeruch stieg aus ihm auf.
Seine Beine begannen zu zittern. Es kam ganz plötzlich. Er war müde, müde, müde. Er hatte nur noch den Wunsch, seinen Körper auszustrecken, in den Schlaf zu sinken. Er wollte sich dieser tiefen Mattheit entziehen, die ihn erfüllte, und in diesem Moment war es ihm gleichgültig, ob er sich damit wieder an einen Prozeß auslieferte, den er nicht verstand und den er noch weniger zu kontrollieren vermochte. Er wollte rasten, liegen, schlafen. Nicht hier auf dem regennassen Asphalt. Bequem sollte es sein. Oder wenigstens weich. Auf jeden Fall nicht kalt.
Die Hand wie ein Blinder ausgestreckt, taumelte er auf den Wagen zu.
Als er kurz vor sieben Uhr morgens erwachte, fühlte er sich nicht ausgeschlafen, doch die Müdigkeit war weniger quälend.
Auf einen Zettel schrieb er: Jonas, 14 . August. Ehe er ihn hinter die Windschutzscheibe legte, betrachtete er die Buchstaben.
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