Die Arbeit der Nacht
sich hinein. Ihm war bewußt, daß er hyperventilierte, doch er konnte nichts dagegen tun. Nicht minder bewußt war ihm, daß er kostbaren Sauerstoff vergeudete.
In diesem Moment, während eines heftigen Atemzugs, wurde die Zeit plötzlich langsamer. Er merkte, wie der Krampf aus dem Atemzug wich, wie sich alles beruhigte und einebnete. Still lag er da, die Sekunde des Atmens zu einer Ewigkeit gedehnt, und hörte ein anschwellendes Brausen.
»Nein!« sagte jemand, vielleicht er, und er tauchte wieder auf.
Er fuhr sich über das schweißnasse Gesicht.
Er bemühte sich nachzudenken. Wenn wirklich nur der Schläfer für alles verantwortlich war, was sich in den vergangenen Tagen zugetragen hatte, so war dies hier Spiegelfechterei. Niemand konnte sich selbst in einen Sarg sperren und dann zuschaufeln. Wenn sich der Schläfer selbst eingekerkert hatte, mußte es auch einen Weg hinaus geben.
Jonas trat. Drückte. Ohne Erfolg.
Wie lange dauerte es, bis in einem engen Raum aller Sauerstoff verbraucht war? Zwei Stunden? Einen halben Tag? Was würde mit ihm geschehen? Er würde müde werden, dann würden seine Sinne verwirren. Das Ersticken würde er womöglich gar nicht bewußt erleben.
Müde werden? Er war schon müde. Sterbensmüde.
Er machte die Augen auf. Alles schwarz.
Seine Glieder schmerzten, vom harten Untergrund und von der Verspannung. Seine Füße waren eingeschlafen. Seine Hand krampfte sich um den Messergriff.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Seinem Gefühl nach zehn Minuten oder vier Stunden. Doch er war noch immer kaum imstande, die Augen offenzuhalten, was darauf hinwies, daß es nicht allzulange gewesen war. Außerdem war er nicht erstickt. In einem so engen Raum konnte nicht genug Sauerstoff für viele Stunden enthalten sein, das war ausgeschlossen.
Es sei denn, es gab eine versteckte Luftzufuhr.
Es sei denn, die Dinge waren nicht, wie sie schienen.
Das Messer in seiner Hand, eine freundliche Einladung? Vielleicht doch mehr Teil einer Komödie? Der Schläfer würde sich nicht freiwillig einsargen, gewiß nicht.
Oder doch?
Nein. Jonas hatte etwas übersehen.
Noch einmal untersuchte er sein Gefängnis. An der Seite, an der sein Kopf lag, wie auch an der gegenüberliegenden Seite gab es keinerlei Spielraum. Rechts pochte er gegen eine Wand. Eine Öffnung, einen Verschluß gab es nicht. Jedenfalls fand er ihn nicht.
Links verhielt es sich anders. Die linke Wand des Käfigs war die härteste. Vor allem aber war sie nicht homogen, es gab Ritzen.
Unter Mühen beförderte er das Messer von der rechten Hand in die linke und begann in den Ritzen zu stochern. Es schien sich nicht um eine richtige Wand zu handeln, sondern um zwei übereinandergelagerte Metallzylinder. Er drückte und drückte in der Absicht, eine Lücke zu schaffen. Dabei brach die Klinge ab. In der Hand hielt er nur noch den nutzlosen Schaft.
Er zwang sich, die Resignation niederzukämpfen. Es war ein Spiel.
Mit den Fingern tastete er den oberen Zylinder ab. Da – zwischen Zylinder und Decke war eine Fuge, gerade groß genug, die Fingerspitzen hineinzustecken. Er preßte die Hand gegen das Metall und zog. Kaum merklich bewegte sich der Zylinder. Jonas faßte weiter unten an, zog wieder. Abermals fühlte er einen kleinen Ruck.
In aufreibender Kleinarbeit rüttelte er den Zylinder zwischen Decke und seinem unteren Gegenstück heraus. Dadurch geriet sein Körper immer weiter unter das massige Metallteil. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken.
Er wälzte den Zylinder über sich. Er rang nach Luft. Nachdem er das Gewicht der Last besser verteilt hatte, konnte er atmen. So gelang es ihm, das untere Stück anzuheben und sich unterhalb hineinzuzwängen. Auf diese Weise entstand rechts Platz für den ersten Zylinder. Jonas rollte den zweiten über sich und setzte ihn unter langwierigem Drücken und Zerren auf den ersten.
Auf der freien linken Seite ertastete er Stoff. Etwas Weiches, Gerundetes. Wenn er die Faust dagegenpreßte, versank sie darin.
In diesem Moment begriff er.
Seine Hand tastete nach dem Schlitz, fand ihn. Tastete nach dem Knopf, fand ihn. Zog daran. Gleichzeitig drückte er gegen die Stoffwand. Der Sitz klappte vor. Jonas wand sich aus dem Kofferraum nach vorne auf die Rückbank des Autos.
Es war Nacht. Die Sterne funkelten am Himmel. Er schien in einem Feld zu stehen. Keine Straße, kein Weg vor ihm. Er schaute nach rechts. Er sah das Zelt, doch er begriff nicht gleich. Erst als er das
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