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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Mathematik. Ich arbeitete damals an meiner Dissertation und hatte eine bestimmte Idee, die Theorie der pulsierenden Sterne. Ich erzählte ihr davon.« Arsenjew verstummte eine Weile, als wunderte er sich selbst darüber, daß er soviel sprach. »Einmal saßen wir im Garten des Observatoriums und lasen in einem Buch, das von den Bewohnern anderer Welten handelte. Du kennst es sicher nicht; es ist ein sehr altes Buch, von dem Franzosen Flammarion.Es war ein Juliabend, die Dämmerung brach an. Wir blätterten gemeinsam die Seiten um. Das Papier wurde immer grauer, und wir lasen immer noch – so wie man nur in der Jugend lesen kann ... Erst als die letzten Worte vor unseren Augen verschwammen, hoben wir den Kopf. Über uns war der Himmel und darin die Sterne und jene Welten, die uns aus den Seiten des Buches erstanden waren ... Damals ...«
    Er stockte.
    »Pjotr?« Hatte er nicht leise noch etwas vor sich hingemurmelt? »Was hast du gesagt, Pjotr?«
    Plötzlich sprach er mit ruhiger, beinahe verträumter Stimme: »Wenn ich noch einmal ihr Gesicht berühren könnte ...«
    »Hör auf!« schrie ich. »Hör auf!«
    Er verstummte.
    Bis jetzt hatten mich keine Gesichte heimgesucht, keine Gedanken oder Erinnerungen. Ich spürte weder Angst noch Verzweiflung, nur eine ständig wachsende, innere Anstrengung, als wäre mir eine schwere Last aufgebürdet, die mich zu erdrücken drohte. Ich war wie ein Mensch, der einen Sack voll greulicher Unholde an sich preßte, ihn krampfhaft zuhält, und dieser Sack zuckt und zappelt immer heftiger in seiner Hand. Ich raffte meine letzten Kräfte zusammen, um auch mich in solch einem eisernen Griff zu halten; denn ich wußte, daß etwas Schreckliches geschehen mußte, wenn ich nachließ, wenn ich gegen mich selbst schwach wurde. Ich wußte, daß ich dann wie in einer Schmutzlache zerfließen würde, und fürchtete nicht so sehr den letzten Atemzug, den Tod, sondern eben dieses wahnwitzige Geschöpf, in das ich mich verwandeln könnte.
    Das, was Arsenjew gesagt hatte, traf mich wie Messerstiche. Für Sekunden rang ich mit mir selbst, dann gab ich auf. Ich spürte – erinnern kann man es nicht nennen –, ich spürte den unbeschreiblich schönen Geruch frisch gepflügter Erde, es war, als stünde ich inmitten schnee-entblößter Vorfrühlingsfelder auf einer Anhöhe, umflutet vom Odem blauer Horizonte, und atmete trunken den würzigen Hauch, der die Erwartung neuen Lebens, der das Leben selber ist.
    Das war das Ende. Es erfaßte, durchdrang mich eine eiserne Ruhe. Ich wußte, was ich zu tun hatte, und neigte mich in der Finsternis zu Arsenjew hinüber, ich fühlte seine Schulter undtastete das erkaltete Gewebe der Kombination entlang. Wie ein Dieb faßte ich in seine Tasche. Zunächst merkte er nichts. Dann aber, als ich nach seinem Revolver griff, wurde ihm klar, was ich wollte. Ein lautloser Kampf begann. Nur unser keuchender Atem wurde hörbar. Arsenjew war der Stärkere, er richtete sich auf und drückte mich gegen die Felswand, dann bekam er den Schalter meines Reflektors zu fassen. Ein Keil gelben Lichtes zwängte sich zwischen uns.
    »Gib ihn ...«, stieß ich heiser hervor. »Gib ... nur eine Patrone!«
    Er antwortete nicht, sondern preßte mich noch fester gegen die Wand.
    »Gib mir den Revolver ...«, ächzte ich, »sei nicht kindisch!« Ich machte keine Anstrengungen mehr, mich loszureißen.
    »Kantschindschinga ...«, flüsterte er mir ins Ohr.
    »Gib mir den Revolver ... Es ist doch alles zu Ende.«
    »Und damals?«
    »Damals fand sich noch ein Ausweg. Pjotr, gib ihn mir!«
    »Auch für uns wird sich noch ein Ausweg finden.«
    »Das ist nicht wahr!«
    Plötzlich ließ er mich los und trat einen Schritt zurück.
    »Willst du, daß ich allein zurückbleibe?« Ganz langsam hatte er dies gesagt. Und nun stand er vor mir, riesengroß, und hinter ihm sein gigantischer Schatten.
    Mir schnürte es die Kehle zu. Einen Augenblick wehrte ich mich, wie von Krämpfen geschüttelt, gegen mich selbst; dann liefen mir die Tränen über die Wangen. Ich sank in die Knie. Er setzte sich neben mich und legte mir seine große schwere Hand auf die Schulter.
    »Na, na ...«, sagte er. »Na, na ...«
    Ich wurde ruhiger. »Hör mal, Pjotr, sie werden niemals erfahren, wie wir umgekommen sind. Übrigens finden sie uns auch so nicht mehr. Es gibt keine Hoffnung. Warum sollen wir noch warten? Wenn wir Sprengstoff hätten ...«
    »Wir haben welchen«, sagte er und berührte die Flasche meines

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