Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Ueberwelt

Die Augen der Ueberwelt

Titel: Die Augen der Ueberwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
Vom Netzwerk:
der Stachelhäuter. Ein irdischer Nacktkiemer? Eine ihres Hauses beraubte Schnecke? Doch am wichtigsten: War diese Kreatur eßbar?
    Cugel nahm sein Amulett vom Hals und berührte damit zunächst die Kugel, dann einen Fühler nach dem anderen. Der Anhänger gab keinen Piepser von sich. Demnach war die Kreatur nicht giftig. Er holte sein Messer aus der Scheide und versuchte, einen Fühler abzutrennen, doch er war zu zäh, auch bloß einen Einschnitt zu gestatten. In der Nähe stand ein Kohlenbecken, das für kleinere Schmiedearbeiten an den Werkzeugen am Glühen gehalten wurde. Nun hob er die Kreatur an zwei ihrer Fühler hoch, trug sie zum Kohlenbecken und legte sie auf die Glut. Er röstete sie von allen Seiten, und als er sie für gegart hielt, wollte er sie essen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, von ihr abzubeißen, stopfte er sie sich als Ganzes in den Mund und fand sie ohne jeglichen Geschmack oder spürbaren Sättingungswert.
    Die Steinhauer kehrten an ihre Arbeit zurück. Mit einem bitteren Blick auf den Hauptzeigner machte Cugel sich auf den Weiterweg.
    Unweit stand Pharesms Zuhause: ein langes niedriges Gebäude aus geschmolzenem Stein mit acht ungewöhnlich geformten Kuppeln aus Kupfer, Glimmer und leuchtend blauem Glas. Pharesm saß davor und blickte mit heiterer, allumfassender Väterlichkeit auf das Tal. In freundlichem Gruß hob er eine Hand. »Ich wünsche Euch eine angenehme Reise und Erfolg in all Eurem künftigen Streben.«
    »Ich weiß Eure guten Wünsche natürlich zu schätzen«, entgegnete Cugel immer noch verbittert. »Ihr hättet mir jedoch einen größeren Dienst mit einer Einladung zum Mittagsmahl erwiesen.«
    Mit unverändert gütiger Miene sagte der Zauberer: »Das wäre fehlgeleitete Großzügigkeit gewesen. Zuviel Freigebigkeit verdirbt das Wesen des Empfängers und beraubt ihn seines Einfallsreichtums.«
    Cugel lachte bitter. »Ich bin ein Mann eiserner Grundsätze und will nicht klagen, trotzdem, in Ermangelung besseren Essens, sah ich mich gezwungen, ein großes, durchsichtiges Insekt zu verschlingen, das ich in der Mitte Eurer Steinarbeiten entdeckte.«
    Mit plötzlicher Erregung blickte Pharesm ihn an. »Ein großes, durchsichtiges Insekt, sagt Ihr?«
    »Insekt, Weichtier oder Hohltier – wer mag das schon sagen? Es ähnelte keinem Geschöpf, das ich je zuvor sah, und sein Geschmack, selbst nach sorgfältigem Grillen auf dem Kohlenbecken, war fade.«
    Pharesm schwebte sieben Fuß in die Höhe und richtete die volle Kraft seines Blickes auf Cugel. Mit rauher Stimme befahl er: »Beschreibt mir dieses Geschöpf ganz genau!«
    Erstaunt über Pharesms Strenge, gehorchte Cugel. »In der Form war es so und so.« Er zeichnete es mit den Händen. »Es war von gallertiger Beschaffenheit, durchsichtig, mit unzähligen Goldpünktchen, die flackerten und pulsierten, wenn die Kreatur sich gestört fühlte. Die Fühler waren dünn und schienen, statt zu enden, im Nichts zu verschwinden. Die Kreatur bewies eine gewisse stumpfe Entschlossenheit, und es war schwierig, sie zu verspeisen.«
    Pharesm raufte sich das gelbe Daunenhaar und rollte die Augen himmelwärts. Mit schmerzerfüllter Stimme rief er: »Ah! Fünfhundert Jahre habe ich mich geplagt, diese Kreatur zu beschwören – zweifelnd, ja verzweifelnd, nächtlich grübelnd, doch nie die Hoffnung aufgebend, daß meine Berechnungen doch stimmten und mein großer Talisman wirkungsvoll sei. Und dann, als sie endlich erschien, fallt Ihr über sie her, aus keinem anderen Grund, als Eure ekelhaftige Gefräßigkeit zu befriedigen!«
    Über Pharesms Grimm ein wenig erschrocken, versicherte ihm Cugel, daß keine böswillige Absicht dahintergesteckt habe. Pharesm aber ließ sich nicht besänftigen. Er wies Cugel darauf hin, daß er sich der Übertretung schuldig gemacht und dadurch das Recht verwirkt habe, für sich zu sprechen. »Allein schon dein Dasein ist ein Unheil!« grollte er nun, die bisherige Höflichkeit vergessend. »Und daß du mir die unangenehme Tatsache zur Kenntnis brachtest, erhöht es noch! Meine Güte veranlaßte mich zur Nachsicht, was ich nun als großen Fehler erkenne.«
    »In diesem Fall«, erklärte Cugel würdevoll, »werde ich Euch meiner Gegenwart sofort entheben. Ich wünsche Euch Glück für den Rest des Tages, und nun: Lebt wohl!«
    »Nicht so schnell«, hielt Pharesm ihn mit eisigster Stimme zurück. »Das Gleichmaß wurde gestört. Das Gesetz des Gleichgewichts fordert eine Gegenmaßnahme für das begangene Unrecht.

Weitere Kostenlose Bücher