Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Überwelt

Die Augen der Überwelt

Titel: Die Augen der Überwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
Vom Netzwerk:
wäre es doch klüger, anderswo nach Unterkunft zu suchen? Aber als er über die Schulter blickte, vermeinte er, eine hochgewachsene Gestalt reglos zwischen den Piedestalen stehen zu sehen. Da dachte er nicht mehr daran, sich anderswo umzusehen, sondern trat eilig an die hohe Tür. Wenn er sich als demütiger Bittsteller ausgab, entging er vielleicht der Aufmerksamkeit Derwe Coremes. Schleichende Schritte waren auf der Terrasse zu vernehmen. Hastig schlug er den Klopfer auf die Tür, daß es im Palast dröhnte.
    Eine Minute verging, und Cugel glaubte, weitere Geräusche hinter sich zu hören. Wieder klopfte er, und wieder dröhnte es im Innern. Durch ein winziges Guckloch spähte ein Auge und musterte Cugel eingehend. Das Auge verschwand, an seiner Statt erschien ein Mund. »Wer seid Ihr?« fragte er. »Was wollt ihr?« Den Mund löste ein Ohr ab.
    »Ich bin ein Reisender und suche Unterkunft für die Nacht. Gewährt sie mir schnell, denn eine furchterregende Kreatur nähert sich.«
    Das Auge kehrte zurück. Es spähte über die Terrasse, ehe es sich Cugel zuwandte. »Was sind Eure Befähigungen? Und wo sind Eure Empfehlungen?«
    »Ich habe keine«, antwortete Cugel. Er blickte über die Schulter. »Könnten wir das nicht im Innern besprechen? Die Kreatur nähert sich Schritt um Schritt.«
    Das Guckloch wurde zugeschlagen. Cugel starrte auf die unbewegte Tür. Erneut klopfte er heftig, während er rückwärts in die Düsternis spähte. Scharrend und knarrend öffnete sich die Tür. Ein kleiner dicklicher Mann in purpurner Livree winkte. »Schnell, herein!«
    Das brauchte er Cugel nicht zweimal zu sagen. Sofort schloß der Lakai die Tür und legte drei eiserne Riegel vor. Noch während er dabei war, warf sich etwas gegen die Tür.
    Der Lakai schlug mit der Faust auf das Holz. »Dem habe ich es wieder gezeigt! Wäre ich weniger flink gewesen, hätte er Euch erwischt, was ich bedauert hätte, wie Ihr auch. Das ist zur Zeit mein Hauptvergnügen, diesen Unhold um seinen Spaß zu bringen.«
    »Tatsächlich«, murmelte Cugel schwer atmend. »Welche Art von Kreatur ist es denn?«
    Der Lakai zuckte die Schulter. »Es ist nichts Genaueres bekannt. Seit einiger Zeit lauert er im Dunkeln zwischen den Statuen. Dem Wesen nach ist er sowohl vampirhaft als auch lüstern. Mehrere der Bediensteten hier hatten Grund zur Klage – seine Missetaten kosteten sie das Leben. Um mich abzulenken, ärgere ich ihn und führe sein Mißvergnügen herbei.« Der Lakai machte einen Schritt zurück und betrachtete Cugel von Kopf bis Fuß. »Wie sieht es mit Euch aus? Euer Benehmen, die Art, wie Ihr den Kopf schräg legt und Eure Augen umherwandern, deuten auf Verwegenheit und Unberechenbarkeit hin. Ich hoffe, Ihr werdet diese Eigenschaften bezähmen, wenn sie Euch wirklich gegeben sind.«
    »Im Augenblick habe ich nur eine Bitte«, sagte Cugel. »Eine Kammer mit Lagerstatt und einen Bissen für meinen hungrigen Magen. Wenn Ihr mich damit versorgen könnt, werdet Ihr feststellen, daß ich die leibliche Güte bin. Ich werde Euch sogar in Eurem Vergnügen unterstützen: Gemeinsam werden wir uns überlegen, wie wir diesen Ghul noch weiter ärgern können.«
    Der Lakai verneigte sich. »Eure Bedürfnisse lassen sich befriedigen. Und da ihr ein weitgereister Mann seid, wird unsere Herrscherin sich bestimmt mit Euch unterhalten wollen und sich vielleicht weit großzügiger um Euer Wohl bemühen, als Ihr erwartet.«
    Cugel wehrte hastig ab. »Ich bin von niedrigem Stand, meine Kleidung ist schmutzig von der Reise und so rieche ich auch nicht gut. Zur Unterhaltung hätte ich nichts weiter zu bieten als schale Flachheiten. Es ist besser, die Herrscherin von Cil nicht zu stören.«
    »Wir werden sehen, was wir für Euch tun können«, entgegnete der Lakai. »Habt die Güte, mir zu folgen.«
    Er führte Cugel durch Korridore, die mit schwelenden Öllampen beleuchtet wurden, zu einer Reihe von Gemächern. »Hier könnt Ihr Euch waschen. Ich werde Eure Kleidung ausbürsten und Euch frische Wäsche bringen.«
    Widerstrebend trennte Cugel sich von seiner Kleidung. Er badete, stutzte die weiche schwarze Mähne, schabte sich den Bart und rieb sich mit duftendem Öl ein. Der Lakai brachte frische Kleidung, und erfrischt zog Cugel sie an. Als er in das Wams schlüpfte, berührte er versehentlich das Amulett am Handgelenk und drückte auf einen Karfunkel. Ein Ächzen unendlicher Qual schien von unter dem Fußboden zu kommen. Der Lakai sprang erschrocken zurück, dabei

Weitere Kostenlose Bücher