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Die Augen der Überwelt

Die Augen der Überwelt

Titel: Die Augen der Überwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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fiel sein Blick auf das Amulett. Mit offenem Mund starrte er darauf, und sofort bediente er sich tiefer Unterwürfigkeit. »Hoher Herr, wäre mir Euer Stand bekannt gewesen, würde ich Euch in die Fürstengemächer geführt und die feinsten Gewänder gebracht haben.«
    »Ich beschwere mich nicht«, versicherte ihm Cugel, »obgleich die Wäsche etwas grob ist.« Es spaßhaft betonend, drückte er auf einen Karfunkel, und das erfolgende Stöhnen ließ dem Lakaien die Knie schlottern.
    »Ich flehe um Euer Verständnis«, sagte er zittrig.
    »Das hast du. Ich hatte vor, den Palast unerkannt zu besuchen, um festzustellen, wie die Dinge hier stehen.«
    »Wie weise.« Der Lakai nickte. »Zweifellos werdet Ihr sowohl Sarman, den Haushofmeister, als auch Bilbab, den Unterkoch, aus dem Haus jagen, sobald Ihr Euch von ihrer Unfähigkeit überzeugt habt. Was mich betrifft, wenn Eure Lordschaft Cil zur früheren Größe erheben, hättet Ihr da nicht vielleicht ein kleines Pöstchen für Yodo, den getreuesten und fähigsten Eurer Diener?«
    Cugel lächelte freundlich. »Wenn es soweit kommt – was mein Herzenswunsch ist –, werde ich dich nicht vergessen. Doch nun möchte ich ungestört in diesem Gemach bleiben. Du darfst mir ein gutes Mahl bringen mit einer Auswahl ausgesuchter Weine.«
    Yodo machte einen höfischen Kratzfuß. »Der Wunsch Eurer Lordschaft ist mir Befehl.« Er ging. Cugel legte sich auf den bequemsten Diwan im Gemach und machte sich wieder einmal daran, das Amulett zu untersuchen, das ihm so schnell Yodos Ergebenheit eingebracht hatte. Wie zuvor verrieten die Runen ihm nichts, und die Karfunkel riefen lediglich Klagelaute hervor, die zwar interessant, aber von keinem Nutzen für ihn waren. Er versuchte es mit Ermahnung, Drohung, Strenge, Überredung und bediente sich des winzigen bißchen Magie, das er sich angeeignet hatte, doch alles vergebens.
    Yodo kehrte zurück, aber ohne das bestellte Mahl.
    »Eure Lordschaft«, sagte er. »Ich habe die Ehre, Euch eine Einladung von Derwe Coreme, der vormaligen Herrscherin von Cil, überbringen zu dürfen, an ihrem Abendbankett teilzunehmen.«
    »Wie ist dies möglich?« fragte Cugel scharf. »Sie wußte nichts von meiner Anwesenheit; und wie ich mich entsinne, erteilte ich dir strikten Befehl in dieser Hinsicht.«
    Wieder machte Yodo einen untertänigen Kratzfuß. »Keinesfalls verstieß ich gegen Euren Befehl. Ich weiß nicht, wie Derwe Coreme es macht, doch sie erfuhr von Eurem Hiersein und sprach die Einladung aus, die ich Euch übermittelte.«
    »Nun gut«, sagte Cugel düster. »Bringe mich zu ihr. Du hast ihr gegenüber mein Amulett erwähnt?«
    »Derwe Coreme weiß alles«, war Yodos dunkle Antwort. »Diesen Gang, Eure Lordschaft, wenn Ihr die Güte hättet.«
    Er führte Cugel durch die ihm bereits bekannten Korridore und schließlich durch eine Bogentür in eine große Halle. An beiden Längswänden stand je eine Reihe Krieger – oder so sah es zumindest auf den ersten Blick aus – in Messingrüstungen, mit Helmen aus Bein und Gagat im Schachbrettmuster angeordnet. Insgesamt waren es vierzig, doch nur in sechs dieser Rüstungen steckten Männer, die restlichen wurden von Ständern gehalten. Gebälkträger in längsverzerrter Männergestalt und mit gräßlichen Fratzen stützten die rauchdunkle Decke. Ein dicker schwarzer Teppich mit einem Muster grüner Kreise in allen Größen bedeckte den Boden.
    Derwe Coreme saß der Eingangstür gegenüber an einem runden Tisch, der so groß und wuchtig war, daß sie noch zierlicher wirkte. Wie ein kleines Mädchen: ein schwermütig grübelndes Mädchen von zartester Schönheit. Cugel näherte sich mit selbstbewußter Miene, blieb kurz vor ihr stehen und verbeugte sich knapp. Derwe Coreme musterte ihn mit düsterer Schicksalsergebenheit, und ihr Blick blieb am Amulett hängen. Sie atmete tief. »Wie darf ich Euch nennen?«
    »Mein Name ist unwichtig«, erwiderte Cugel. »Ihr dürft mich mit ›Erhabenheit‹ anreden.«
    Derwe Coreme zuckte gleichgültig die Schulter. »Wie Ihr möchtet. Euer Gesicht kommt mir bekannt vor. Ihr ähnelt einem Vagabunden, den ich auspeitschen lassen wollte.«
    »Ich bin dieser Vagabund«, brummte Cugel. »Ich kann nicht behaupten, daß Euer Benehmen keinen Eindruck bei mir hinterließ, und ich bin gekommen, um eine Erklärung zu verlangen.« Er drückte auf einen Karfunkel. Das folgende verzweifelte und herzergreifende Ächzen erschütterte die Kristallgedecke auf dem Tisch.
    Derwe Coreme

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