Die Augen der Überwelt
und Cugel konnte sich aus seinem Netz befreien. Er zog sein Schwert und machte sich daran, Garstang zu befreien, doch da stürmten weitere Goldhaarige herbei. Erneut blies Cugel in das Rohr, da flohen die Einheimischen furchtgeschüttelt.
»Lauft, Cugel«, riet ihm Garstang. »Ich bin ein alter Mann und arg geschwächt. Bringt Euch in Sicherheit, all meine guten Wünsche begleiten Euch.«
»Nun, das würde ich unter anderen Umständen auch tun«, gestand Cugel, »doch diese Leute haben mich bis zur Unvernunft gereizt. Also klettert aus Eurem Netz, und wir fliehen zusammen.« Wieder verbreitete er mit seinem blauen Pulver Furcht und Schrecken, damit Garstang sich ungehindert befreien konnte. Dann rannten die beiden, was sie konnten, den Strand entlang.
Die Dorfbewohner verfolgten sie mit Harpunen. Gleich beim ersten Wurf bohrte sich eine in Garstangs Rücken. Er war sofort tot. Cugel wirbelte ergrimmt herum und blies ins Rohr, doch nur noch ein winziger Hauch sprühte heraus – das Zaubermittel war aufgebraucht. Die Goldenhaarigen schwangen die Arme zu einer zweiten Salve zurück. Cugel fluchte wild, sprang seitwärts und duckte sich. Die Harpunen zischten neben und über ihm vorbei und blieben im Sandstrand stecken. Drohend schüttelte Cugel die Faust, nahm die Beine unter die Arme und floh in den Wald.
6. Die Höhle im Wald
Durch den Alten Wald zog Cugel, Schritt um achtsamen Schritt, und oft blieb er stehen, um auf das Knacken von Zweigen oder huschende Bewegungen, ja gar auf Atemzüge zu lauschen. Seine Vorsicht, obgleich sie ihn an einem zügigen Weiterkommen hinderte, war durchaus berechtigt. Auch andere streiften durch diesen Wald, und ihre Absichten und Begierden standen in großem Widerspruch zu seinen eigenen. Einen ganzen schrecklichen Abend lang hatten ihn zwei Deodanden gejagt, bis er sie schließlich hatte abschütteln können. Ein andermal hatte er gerade noch rechtzeitig, ehe er auf eine Lichtung trat, bemerkt, daß dort ein tief in Gedanken versunkener Leukomorph stand. Woraufhin Cugel noch größere Vorsicht hatte walten lassen und nun von Baum zu Baum schlich, hinter jedem lauschend hervorspähte und offene Stellen mit hurtigen Füßen überquerte, die kaum den Boden zu berühren wagten.
Eines Nachmittags kam er zu einer sumpfigen Lichtung, umgeben von schwarzen Fraßbäumen, die unheildrohend an vermummte Räuber erinnerten. Schräg fielen ein paar rote Sonnenstrahlen ein und warfen ihren Schein auf ein Pergament, das an einen einsamen, knorrigen Quittenbaum geheftet war. Gut im Schatten der Bäume verborgen, studierte Cugel die Lichtung eingehend, ehe er sich zu dem Pergament wagte. In alter, kaum leserlicher Schrift stand darauf:
EIN GROSSZÜGIGES ANGEBOT ZARAIDES DES WEISEN: Dem Finder dieser Botschaft sei eine Stunde gewinnbringender Beratung unentgeltlich gewährt. Der Weise ist in der Höhle eines nahen Hügels zu finden.
Erstaunt betrachtete Cugel dieses Pergament. Die triftige Frage erhob sich, weshalb Zaraides seine Weisheit so freigebig anbot? Ein Angebot wie dieses hatte fast immer einen Haken. Nichts war umsonst, denn das wäre gegen das Gesetz des Ausgleichs. Wenn Zaraides Rat anbot – und man eine absolute Selbstlosigkeit seinerseits ausschloß –, erwartete er irgendeine Gegenleistung, als mindestes, daß man sich in Selbstverleugnung seinem Rat unterwarf; oder Auskunft über ferne Ereignisse; oder höfliche Aufmerksamkeit, wenn er selbstverfaßte Oden aufsagte; oder irgend etwas anderes. Als Cugel das Angebot ein zweites Mal las, wuchs sein Mißtrauen noch, wenn das überhaupt möglich war. Er hätte das Pergament achtlos von sich geworfen, wäre er nicht auf Auskunft angewiesen gewesen: Er mußte nämlich den sichersten Weg zu Iucounus Burg erfahren, und außerdem hätte er gern gewußt, wie er den Lachenden Zauberer überwältigen könnte.
So schaute Cugel sich nach dem Hügel um, in dem Zaraides zu finden war. Jenseits der Lichtung schien das Gelände anzusteigen, und als er genauer hinsah, bemerkte er knorrige Äste und dichtes Laubwerk, als wüchse eine größere Zahl Daobaden in größerer Höhe als der restliche Wald.
Mit allergrößter Wachsamkeit betrat Cugel den Wald auf der anderen Lichtungsseite und stand plötzlich vor einem grauen Felsen, der mit den Daobaden gekrönt und von Schlingpflanzen überwuchert war: Eindeutig der gesuchte Hügel.
Zweifelnd entblößte Cugel die Zähne und zupfte sich am Kinn. Er lauschte. Es herrschte völlige
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