0835 - Im Kreisel der Angst
Kennt man seine Freunde tatsächlich?
Bisher war ich davon ausgegangen. Die letzten Tage hatten mich daran zweifeln lassen, denn ich hatte einen völlig anderen und veränderten Suko erlebt. Ich hatte auch versucht, mich in seine Lage hineinzuversetzen, was mir jedoch nicht gelungen war. Es mochte an der unterschiedlichen Erziehung liegen und auch daran, daß er in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen war als ich, aber das konnte seine Veränderung nicht erklären.
In Suko war etwas zerbrochen. Er hatte Shaos langsames Sterben mit ansehen müssen, und er hatte doch nichts dagegen unternehmen können. Da war ihm und auch mir die verfluchte Hexe Tatjana einfach über gewesen, und es war dann eben zu diesem bitteren Ende gekommen, tief in den Verliesen eines alten Gemäuers, das längst von den Menschen vergessen worden war.
Shao lebte nicht mehr. Sie war das späte Racheopfer für die Hexe Yannah gewesen, die Suko in Paris kennengelernt hatte. Yannah war allerdings nicht durch unsere Schuld gestorben, sondern durch ihre eigene Unzulänglichkeit, da sie den falschen Weg eingeschlagen hatte.
All das wußten wir, aber die Hexe Tatjana hatte es uns nicht abgenommen und ihre Rache grausam durchgezogen, an deren Ende Shaos Tod gestanden hatte.
Ein Tod, der anders gewesen war als der vor Jahren, als man sie in das Reich der Sonnengöttin Amaterasu holte, die sie, als letzter Sproß in der Ahnenkette, letztendlich hatte befreien sollen.
Dazu würde es nicht mehr kommen. Die Lage hatte sich radikal geändert. Ich wußte nicht mal, ob wir vor einem neuen Anfang oder am Ende standen.
Okay, für mich gab es einen Anfang, für Suko nicht. Er hatte sich praktisch abgewendet und mir erklärt, daß er seinen eigenen Weg gehen wollte.
Dazu zählte er auch das Begräbnis seiner geliebten Shao. Schon einmal hatte er den Weg allein eingeschlagen und damals die Überraschung erleben müssen, daß Shao sich verwandelt hatte, um in die Dienste der Sonnengöttin zu treten. Sie war zu der Person mit der Armbrust geworden, und mit dieser Waffe machte sie Jagd auf Feinde. Davon hatten wir beide nichts mehr gesehen. Es war vorbei, die gesamte Vergangenheit war irgendwie zerplatzt wie ein straff aufgeblasener Ballon. Sie war in Fetzen davongeflogen und würde sich auch nicht wieder zusammensetzen.
Nein, es gab die Vergangenheit nicht mehr. Suko hatte sich auch nicht mehr daran erinnern wollen, sosehr ich mich auch bemüht hatte. Er hatte nur darum gebeten, ihn allein zu lassen, weil er einen anderen Weg mit Shao gehen wollte. Sie sollte auch nicht nach den bekannten Ritualen begraben werden, da hatte Suko schon seine bestimmten Vorstellungen, über die er sich allerdings ausschwieg.
Es war Weihnachten, und ich glaube, daß sich jeder vorstellen kann, wie dieses Fest für meine Freunde und mich verlaufen war. Natürlich waren sie von mir informiert worden, wir alle litten mit, doch Suko ließ so etwas nicht gelten. Er wollte allein sein.
Allein mit Shao!
Genau das war das Problem.
Auch mit Sir James hatte ich darüber gesprochen, und er war sehr nachdenklich geworden. Mitten in der Weihnachtsfestlichkeit hatten wir zusammengehockt und überlegt. Wir waren zu dem Entschluß gekommen, daß wir Suko auf keinen Fall außer Kontrolle lassen konnten.
»Sie wissen nicht, John, wie es tief in seinem Innern aussieht. Nicht nach diesem Vorgang.«
Da hatte Sir James den Punkt getroffen. Ich konnte ihm nicht widersprechen, und Sir James redete auch weiter. »Ich weiß selbst, daß Weihnachten nicht eben der ideale Zeitpunkt ist, aber da sollten wir über den eigenen Schatten springen.«
»Für mich wirft das Fest keinen Schatten, Sir.«
»Das wollte ich wissen.«
»Und weiter?«
Sir James seufzte. »Es muß jemand geben, der ihn beobachtet und ihn vor Dummheiten abhält.«
»Also ich?«
»Das dachte ich mir auch.«
»Wie steht es dann mit Ihrer Sensibilität, John? Ich möchte Sie auf keinen Fall belehren, kann es auch nicht, denn Sie sind Sukos bester Freund, aber ich befürchte, daß Sie deshalb nicht objektiv sein können.«
Ich schüttelte den Kopf. »Pardon, Sir, aber das verstehe ich nicht.«
Er lächelte und wand sich. »Es ist schwer, dies auszudrücken. Sagen wir so: Sie müssen versuchen, Suko zu stoppen, wenn er ausrastet und einen Weg einschlägt, der allen nicht genehm sein kann. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen konkrete Beispiele zu nennen, aber sie verstehen hoffentlich, was ich meine.«
»Im Prinzip schon, Sir. Ich
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