Die Augen der Ueberwelt
entrissen, der im Dienst des großes Gottes Yelisea steht.«
»Berichte! Berichte!«
Cugel erläuterte die Umstände, die zunächst zur Ergreifung und dann zum Verlust dessen geführt hatten, was Pharesm so begehrte.
Während Cugel erzählte, wurde Pharesms Gesicht immer kummervoller, und er ließ die Schultern hängen.
Schließlich trat Cugel hinaus in das stumpfrote Licht des Spätnachmittags. Gemeinsam mit Pharesm studierte er die Felsen, die nun kahl und leblos auf sie herabschauten. »In welche Höhle ist die Kreatur geflogen?« fragte Pharesm. »Zeig sie mir, wenn das möglich ist.«
Cugel deutete. »Dort, glaube ich zumindest. Es ging alles so schnell, und es war ein Durcheinander von Schwingen und weißen Gewändern …«
»Bleib hier.« Pharesm ging in sein Arbeitsgemach und kehrte gleich darauf zurück. »Ich gebe dir Licht«, sagte er und händigte Cugel eine kalte weiße Flamme aus, die in eine Silberkette geknüpft war. »Mach dich bereit!«
Vor Cugels Füße warf er ein Kügelchen, das zu einem gewaltigen Wirbel wurde und den schwindligen Cugel zu dem zerfallenden Sims trug, auf das er gewiesen hatte. Es führte in den dunklen Eingang einer Höhle.
Cugel streckte die Flamme hinein. Er sah einen staubigen Gang vor sich, drei Schritte breit und höher, als er greifen konnte. Ihm folgte er. Er reichte tief in den Felsen, ein wenig seitwärts, und schien völlig leer zu sein.
Die Flamme als Lampe vor sich haltend, setzte Cugel zögernd Fuß vor Fuß. Sein Herz klopfte heftig aus Furcht vor etwas, das er nicht hätte beschreiben können. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Musik? Die Erinnerung an Musik? Angespannt lauschte er, doch er konnte nichts hören. Aber als er weitergehen wollte, lähmte ihm die Furcht die Beine. Er hielt die Flamme hoch und spähte den staubigen Gang entlang. Wohin führte er? Was lag jenseits davon? Eine staubige Höhle? Das Dämonenland oder Byssom, das Land der Seligen? Vorsichtig ging Cugel weiter, seine Sinne waren aufs Höchste angespannt. Auf einem Sims entdeckte er eine verschrumpelte braune Kugel: den Elfenbeintalisman, den er in die Vergangenheit getragen hatte. TOTALITÄT hatte sich längst von ihm gelöst und sich hinwegbegeben.
Behutsam hob Cugel den Talisman auf – eine Million Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen – und kehrte auf das äußere Sims zurück. Auf einen Befehl Pharesms trug der Wirbel Cugel zu ihm zurück.
Den Zorn des Zauberers fürchtend, händigte Cugel ihm den verschrumpelten Talisman aus.
Pharesm hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ist das alles?«
»Mehr war nicht«, antwortete Cugel bedauernd.
Pharesm ließ die Elfenbeinkugel fallen. Als sie auf dem Boden aufschlug, löste sie sich sofort in Staub auf. Der Zauberer starrte Cugel an, dann drehte er sich mit einer Geste unendlicher Verzweiflung um und schlurfte in sein Arbeitsgemach.
Dankbar machte sich Cugel auf den Weg, vorbei an den Arbeitern, die sich besorgt gesammelt hatten und auf Befehle warteten. Finster musterten sie Cugel, und ein Zweiellenmann warf einen Stein nach ihm. Cugel zuckte die Schulter und folgte dem Pfad weiter südwärts. Er kam an einer Stätte vorbei, wo vor Millionen Jahren das Dorf gewesen war und nun nur noch rankenüberwucherte, knorrige alte Bäume standen. Den Weiher gab es längst nicht mehr, und der Boden war hart und ausgedörrt. Im Tal unten waren noch Spuren von Ruinen zu erkennen, doch wo dereinst die Städte Impergos, Tharuwe und Rhaverjand gestanden hatten, wußte niemand mehr. Seit undenklicher Zeit schon waren sie vergessen.
Cugel schritt dahin. Hinter ihm verschmolzen die Felsen allmählich mit dem Dunst und waren bald nicht mehr zu sehen.
5. Die Pilge r In der Herberg e
Den Großteil eines Tages war Cugel durch einetrostlose Öde gewandert, in der nichts als Salzgras wuchs. Doch kurz vor dem Sonnenuntergang kam er ans Ufer eines breiten, trägen Flusses, neben dem eine Straße verlief. Eine halbe Meile rechts davon erhob sich ein hohes Bauwerk aus Holz und mit dunkel brauner Stuckarbeit verziertem Stein – offenbar eine Herberge. Der Anblick erfüllte Cugel mit großer Freude, denn er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und die letzte Nacht auf einem Baum zugebracht. Zehn Minuten später öffnete er die schwere, eisenbeschlagene Tür und betrat das Haus.
Er gelangte in eine geräumige Diele, mit Fenstern aus Diamantglas an zwei Seiten, durch das die untergehende Sonne schien und sich tausendfach
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