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Die Augen der Ueberwelt

Die Augen der Ueberwelt

Titel: Die Augen der Ueberwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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in schweren, klobigen Zeremonienschuhen gehen mußte, rief erregt: »Ihr sprecht ohne Logik und Einsicht. Wie könnt Ihr nur eine solche Behauptung aufstellen?«
    Lodermulch hob verärgert die Brauen. »Muß ich das wirklich eingehend erörtern? Besteht die Küste an der Grenze zwischen Land und Meer etwa aus einer meilenhohen Klippe? Nein! Unregelmäßigkeit findet sich überall. Landzungen erstrecken sich ins Wasser, weißer Sandstrand zieht sich an der See dahin. Nirgendwo sind die gewaltigen Schichten Leichenhumus, von denen Euer Glaube lehrt!«
    »Irreführendes Gewäsch!« rief der Seiltänzerevangelist entrüstet.
    »Was erlaubt Ihr Euch!« donnerte Lodermulch, und sein mächtiger Brustkorb schwoll an. »Das ist eine Beleidigung!«
    »Keine Beleidigung, sondern eine berechtigte Ablehnung Eurer starren Lehrmeinung. Wir sind derÜberzeugung, daß ein Teil des Leichenstaubs ins Meer geweht wird, ein anderer in der Luft schwebt, ein weiterer durch Ritzen und Spalten und Erdlöcher in unterirdische Hohlräume sickert und ein vierter von den Bäumen, dem Gras und gewissen Insekten aufgenommen wird, so daß weniger als eine halbe Meile Ahnenhumus die Erde bedeckt, und ihn zu betreten ist ein Sakrileg. Weshalb sind die von Euch erwähnten Klippen nicht überall sichtbar? Nun, daran ist die Feuchtigkeit schuld, die von den unzähligen Menschen der Vergangenheit ausgeschieden wurde! Sie hat das Meer in gleichem Maß anschwellen lassen, und so sind keine Klippen erkennbar. Und darin liegt Euer Irrtum!«
    »Pah!« Lodermulch wandte sich von ihm ab. »Irgendwo gibt es einen Fehler in Euren Vorstellungen.«
    »Keinesfalls!« beteuerte der Evangelist mit der Heftigkeit von Eiferern seiner Art. »Deshalb gehen wir aus Ehrfurcht vor den Toten über dem Boden auf Seilen und Balken, und wenn wir keine andere Wahl haben, als auf dem Erdboden zu reisen, tragen wir besonderes, geheiligtes Schuhwerk.«
    Während dieses Streitgesprächs hatte Cugel die Gaststube verlassen. Nun trat ein pausbäckiges Bürschchen in der Schürze des Hausdieners ein und näherte sich den Pilgern. »Seid Ihr der ehrenwerte Lodermulch?« fragte er den richtigen Mann.
    Lodermulch blickte ihn scharf an. »Der bin ich.«
    »Ich habe eine Nachricht von einem, der gekommen ist, Euch das Geld zurückzubringen, das Ihr ihm geborgt habt. Er wartet in einem Schuppen hinter der Herberge auf Euch.«
    Lodermulch starrte ihn mißtrauisch an. »Bist du sicher, daß dieser Mann mich, Lodermulch, Schergenmeister der Stadt Barlig, gemeint hat?«
    »Es ist der Name, den der Mann nannte, mein Herr.«
    »Und wie sieht dieser Mann aus?«
    »Er ist groß, trägt einen weiten Kapuzenumhang und sagte, er sei Euch ein guter Freund.«
    »Hm«, überlegte Lodermulch. »Tyzog vielleicht? Oder möglicherweise Krednip? Weshalb schicken sie einen andern vor? Nun, zweifellos gibt es einen Grund dafür.« Es kostete ihn Mühe, seine gewichtige Masse zu heben. »Gut, dann werde ich wohl nach dem Rechten sehen müssen.«
    Er stapfte aus der Gaststube, ging um die Herberge herum und spähte durch das Dämmerlicht zum Schuppen.
    »Hallo!« rief er. »Tyzog? Krednip? Komm heraus!«
    Nichts rührte sich. Lodermulch stiefelte zum Schuppen und schaute hinein. Kaum hatte er ihn betreten, kam Cugel von hinten herbei, schlug die Tür zu und warf den Riegel vor. Ohne auf die wütenden Rufe und die hämmernden Schläge gegen die Tür zu achten, kehrte Cugel in die Herberge zurück. Er suchte den Wirt auf und sagte: »In Eurer Abmachung hat sich eine kleine Veränderung ergeben: Lodermulch mußte einem dringenden Ruf folgen. So benötigt er weder sein Gemach noch sein Brathähnchen und war so gütig, mir beides zu überlassen.«
    Der Wirt zupfte erstaunt am Bart, ging an die Tür und blickte die Straße auf und ab. Nachdenklich kehrte er in die Gaststube zurück. »Merkwürdig! Er hatte sowohl für Gemach als auch Mahl bezahlt, und nun verlangt er nicht einmal eine Rückerstattung!«
    »Wir haben das unter uns geregelt. Um Euch jedoch für mögliche zusätzliche Mühe zu entschädigen, habt Ihr noch drei Terces von mir.«
    Der Wirt nahm schulterzuckend die Münzen. »Mir kann es egal sein. Kommt, ich zeige Euch das Gemach.«
    Cugel begutachtete es und war zufrieden. Kurz darauf wurde ihm sein Abendmahl aufgetischt. Sowohl Brathähnchen als auch Beilagen mundeten köstlich. Lodermulch hatte keine schlechte Wahl getroffen.
    Ehe er sich in sein Gemach zurückzog, machte Cugel einen kurzen Spaziergang zum

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