Die Ausgelieferten
die deutschen Truppen in Dänemark kapituliert hatten. Der Mangel an Nahrungsmitteln war groß, aber es gelang ihnen, das Nötige bei der Zivilbevölkerung einzutauschen. Die deutsche Garnison auf der Insel schien um keinen Preis den Kampf aufgeben zu wollen, jedenfalls wollte sie sich nicht den Russen ergeben.
Am 7. Mai, gegen 10 Uhr, wurden außerhalb von Nexö zwei russische Flugzeuge beschossen; eines wurde getroffen. Um 12.15 Uhr wurde Rönne von einer Welle russischer Bomberflugzeuge angegriffen, um 12.50 Uhr kam die zweite Welle, um 18.30 Uhr die dritte. Die Stadt brannte jetzt und war schwer zerstört, aber der deutsche Kommandant weigerte sich immer noch zu kapitulieren. Bei der ersten Bombenwelle waren fünf Mann der lettischen Abteilung getötet worden, es gab also offensichtlich gute Gründe, die Insel zu verlassen. In der Nacht zum 8. Mai wurde um 2.30 Uhr Befehl gegeben, die Stadt Rönne vollständig zu evakuieren. Kurz darauf gingen die baltischen Soldaten an Bord der »Potrimbs« und der »Alnis«. Die zivile Besatzung hatte die Schiffe verlassen, aber die Balten konnten die Motoren starten.
Sie gingen auf nördlichen Kurs, nach Schweden. Sie liefen vor Morgengrauen aus. Auf den beiden Schiffen befanden sich insgesamt 156 Mann, unter ihnen zwölf Deutsche und sieben Zivilisten. Kurz bevor sie den Hafen von Ystad erreichten, sahen sie, wie Rönne noch einmal bombardiert wurde: es war 9.45 Uhr morgens. Punkt 10 Uhr glitten die beiden Schiffe in das Hafenbecken von Ystad. Sie liefen direkt in den Hafen ein und gingen im Haupthafen vor Anker. Ein Zollboot war ihnen schon ein Stück entgegengekommen und hatte sie begleitet; die Schiffe durften nicht an einer Pier anlegen.
Es kamen viele neugierige Zuschauer zum Hafen hinunter. Sie standen am Kai und guckten, obwohl es nichts Besonderes zu sehen gab. Die Flüchtlinge erklärten, sie seien aus Angst vor den Russen aus Rönne geflohen. Sie machten alle einen ruhigen und besonnenen Eindruck. »Es handelte sich um Flüchtlinge aus allen Altersgruppen, und alle sahen wohlgenährt und gut gekleidet aus«, stellte die Zeitung Ystads Allehanda fest, die dem Ereignis im übrigen keine große Aufmerksamkeit schenkte.
Sie durften bis zum Nachmittag an Bord bleiben. Dann brachte man sie zur Entlausung oder »Sanitätsbehandlung«, wie diese Prozedur auch hieß, in eine Badeanstalt. Die Stimmung in der Truppe war ausgezeichnet. Schwedische Offiziere hatten nunmehr das Kommando übernommen. »Man sagte uns, wir würden nicht an die Russen ausgeliefert werden.« Anschließend wurden die Balten registriert.
Die Geschichte der Registrierung in Ystad ist ein Teil des Berichts über das Entstehen einer absurd unlösbaren Situation. Sie lässt sich auf verschiedene Weise wiedergeben.
Die lettische Flüchtlingsgruppe setzte sich hauptsächlich aus Soldaten zusammen. Als sie die schwedische Küste näher kommen sahen, schickten sie eine Abordnung zu ihren Offizieren. Diese Delegation sollte eine Bitte vorbringen. Die Bitte war sehr einfach: die Soldaten wollten ihre Uniformen wegwerfen und sich als Zivilisten ausgeben. Sie hielten das für vorteilhaft, es würde ihrer Ansicht nach das Verhältnis zu den schwedischen Behörden weniger kompliziert gestalten.
Die Delegation brachte ihr Anliegen dem Chef der Truppe persönlich vor, der daraufhin seine Offiziere zusammenrief und mit ihnen beratschlagte. Nach kurzer Zeit, es mögen fünf Minuten gewesen sein, ließen die Offiziere mitteilen, jeder solle seine Uniform anbehalten, Rangabzeichen dürften nicht entfernt werden. Dieser Beschluss wurde nicht begründet.
Lange Zeit später, im Lager von Ränneslätt, in den Wochen der Krise, ist diese Entscheidung noch oft diskutiert worden. Wie nahe man der Freiheit doch gewesen war, ohne die Hand ausstrecken zu können, um sie zu ergreifen. Wie leicht alles gewesen wäre, wenn man nur die Uniformen weggeworfen und sich als Zivilisten ausgegeben hätte. Wie einfältig waren ihre Offiziere doch gewesen.
Und das Motiv? Warum hatten die Offiziere nein gesagt?
Die Erklärung ist einfach. Dreiundzwanzig Jahre später wird sie von einem der Legionäre vorgebracht. Er war 1945 zweiundzwanzig Jahre alt und gemeiner Soldat, jetzt aber schreiben wir das Jahr 1967: ein Badestrand außerhalb Rigas. Er berichtet mit einem Anflug von Resignation oder Ironie.
– Für die war alles sehr einfach. Der Haager Konvention zufolge hatten kriegsgefangene Soldaten Anspruch auf den vollen Sold. Dieser
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