Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
den Rock um. Natürlich sah man die geflickte Stelle noch, aber Emilia fand, dass sie es ganz gut hinbekommen hatte. Erleichtert legte sie Nadel und Faden zurück in das Kästchen und stand auf. Das Knie schmerzte noch, aber die Salbe schien zu helfen. Ihr Magen knurrte. Sollte sie es wagen, nach unten zu gehen? Inzwischen war es Nachmittag, immer noch schob der Wind die dunklen Rauchwolken über den Himmel, die Sonne war nur hinter einem Schleier aus Qualm zu sehen. Der Rasen, auf den ihre Mutter so stolz war, war von einer Ascheschicht bedeckt. Grauer Schnee, dachte Emilia, seltsam sieht das aus. Irgendwie unheimlich.
3. K APITEL
Die Hufe der Pferde knirschten weniger als sonst auf dem Kies der Einfahrt. Die dicke Ascheschicht dämpfte den Aufschlag. Als würde die Kutsche durchs Wasser gleiten, dachte Emilia verwundert. Das Fuhrwerk hielt vor dem Eingang und nicht, wie sonst, hinter dem Haus am Stall.
Wilhelmina Bregartner war eine stattliche Frau. Die Haare hatte sie normalerweise streng nach hinten zu einem Knoten gebunden, ohne die modischen Locken an den Schläfen. Doch diesmal hingen sie wild um ihren Kopf. Noch nie zuvor hatte Emilia die Tante ohne Haube gesehen. Tante Minna ließ sich von dem Knecht aus dem Wagen helfen und sah sich um, als wäre sie zum ersten Mal auf dem Familienanwesen. Dann ging sie langsam die Treppe hinauf.
Ich muss sie begrüßen, dachte das Mädchen und ging zum Spiegel, um ihre Haare zu richten. Ihre Haube, stellte sie entsetzt fest, musste sie verloren haben. Das Gesicht war von Ruß und Tränen verschmiert, ihre Haare glichen einem Vogelnest, obwohl Inken sie am Morgen frisiert hatte. Sie nahm den Lappen, tauchte ihn in das kalte Wasser der Waschschüssel und rieb sich über das Gesicht. Es wurde schlimmerstatt besser. Auch die Seife, die leicht nach Lavendel duftete, half nicht viel. Schließlich gab Emilia auf, versuchte, die losen Haarsträhnen in dem Knoten im Nacken zu befestigen, aber auch das wollte ihr nicht wirklich gelingen.
Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und ging langsam nach unten. Tante Minna saß auf der Küchenbank und nicht, wie sonst, in der Stube. Erstaunt blieb Emilia an der Tür stehen. Auch ihr Vater saß in der Küche am Tisch und löffelte den Eintopf aus einer Schüssel. Es duftete nach fettem Speck, Erbsen, Bohnen und Kartoffeln, nach Bohnenkraut und Zwiebeln. Ein deftiger Geruch. Emilias Magen krampfte sich zusammen.
Tante Minna sah wie zerrupft aus. Auch ihr Gesicht war grau und streifig, als hätte sie nur halbherzig versucht, die Asche rasch abzuwischen. Der Kragen war grau und hob sich kaum von dem dunklen Kleid ab. Die Haare waren zerzaust und angesengt. Sie sah auf, ihr Blick traf auf Emilia.
»Kind!« Schrill klang die Stimme der Tante durch die Küche, und Inken, die am Herd stand, fuhr herum. »Sollte sie nicht bei den Nachbarn sein?«
Auch ihr Vater hob den Kopf und sah sie an. Emilia fühlte sich plötzlich ganz klein und verloren. Sie wollte doch alles gut und richtig machen. Vaters Haut glänzte rötlich, er hatte gerade gebadet. Das Haar war noch feucht. Die Koteletten viel kürzer als sonst. Emilia zog die Stirn kraus, doch dann erinnerte sie sich an die angesengten Haare von Johann Jörgensen. Ihr Vater hatte eine tiefe Schramme auf der Stirn, wie sie erschrocken feststellte.
»Vater, du hast dich verletzt!« Sie lief auf ihn zu, zögerte jedoch kurz, bevor sie ihn erreichte. Doch er öffnete die Arme und zog sie an sich.
»Mein Täubchen, du sollst doch gar nicht hier sein«, seufzte er. »Dies sind schwere Zeiten für uns. Willst du nicht lieber zu den Jörgensens gehen?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein! Ich habe aber Hunger«, sagte sie dann leise. »Darf ich auch etwas essen?«
Ihr Vater lachte auf, auch wenn es bitter klang. »Zumindest zu essen haben wir noch reichlich.« Er sah zu seiner Schwägerin. Ihr Mund war zu einem dünnen Strich geworden.
»Das Kind sollte nicht hier sein«, zischte sie und schaute nach oben. »Sie sollte das nicht mitbekommen.«
Emilia streckte das Kinn nach vorn. »Ich weiß, dass Mutter ein Kind bekommt«, sagte sie trotzig. Dann drückte sie sich wieder an ihren Vater. Er roch nach Seife und Leder. Nach Rosmarin, weil Sofie Rosmarin zur Seife gab, nach Lavendel, weil die getrockneten Blüten in Säckchen in den Schränken lagen – aber er roch auch nach Rauch, obwohl er gerade gebadet hatte. Oder kam der Geruch von ihren eigenen ascheüberzogenen Kleidern?
»Komm,
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