Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
wieder Schluckauf. Sie schloss die Augen und faltete die Hände, so fest sie konnte.
»Lieber Gott, bitte, lass ihnen nichts passiert sein. Auch nicht dem schönen Kinderzimmer mit dem weißen Schaukelpferd.« Sie biss sich auf die Lippe. Frederik, ihr Cousin, war letztes Jahr an Cholera gestorben. Im Jahr davor war das kleine Mädchen von Tante Minna, Luisa, im Siel ertrunken. Erst vor zwei Wochen hatte sich Emilia, als sie in Hamburg zu Besuch waren, in das Kinderzimmer geschlichen und sich auf das Schaukelpferd gesetzt. Frederik hatte ihr das nie erlaubt, als er merkte, wie gut ihr das Spielzeug gefiel. War das böse von ihr gewesen, dass sie sich auf das Schaukelpferd gesetzt hatte?, fragte sie sich nun. Brannte es deshalb in der Stadt?
»Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut«, predigte der Pfarrer.
Nein, ich will das Pferd ja gar nicht, dachte sie beklommen. »Lieber Gott, bitte mach, dass Mutter ein gesundes Kind bekommt. Dass alles gutgeht und gut wird. Bitte mach, dass Mutter wieder glücklich wird. Ich werde alles dafür tun, immer lieb sein. Ich werde auch nie mehr von der Sahne naschen und es dann auf die Katze schieben. Nie, nie mehr. Das verspreche ich. Ich werde nie wieder etwas tun, was Mutter erzürnt.« Sie kniff die Augen zusammen. Dieses Versprechen war so schwer zu halten, weil Mutter so schnell wütend und zornig wurde. Manchmal reichte es schon, wenn Emilia singend durch das Haus hüpfte. Oder wenn sie sich dreckig machte oder aus Versehen eine der Blumen im vorderen Garten abbrach. »Ich werde mich nie wieder dreckig machen«, fügte sie in Gedanken ihrem Gebet hinzu. Dann öffnete sie die Augen und sah an sich herab. Die weiße Schürze war grau und fleckig, die Rüschen ihrer Wäschehose waren dunkel, das Kleid mit Rußflecken übersät. Oh nein, dachtesie. Dann sah sie sich um. Kaum einer sah besser aus. Der Ruß und die Asche hatten jeden getroffen. Selbst der Boden der Kirche und die weißen Bänke waren mit einer Ascheschicht bedeckt.
»Lieber Gott, ich verspreche, ab morgen sauber und reinlich zu sein. Und mich gar pfleglich zu verhalten, wenn du machst, dass alles gut wird.« Sie holte tief Luft. »Bitte!«
2. K APITEL
»Lass uns zusehen, dass wir schnell nach Hause kommen«, sagte Grete mit einem Blick zum Himmel. Der Wind hatte gedreht, die Sonne war nun zu sehen. Aber immer noch stand Rauch über Hamburg.
»Unsere Gebete haben geholfen«, sagte Ida erleichtert.
Sie machten sich auf den Rückweg. Als sie endlich das Haus der Jörgensens erreichten, hatte der Wind abermals gedreht. Wieder regnete es Asche. Diesmal kam ein beißender Geruch hinzu.
»Wer weiß«, sagte Grete besorgt, »was da verbrennt. Alle ins Haus. Levke und Kasper, bringt die Tiere in den Stall.«
»Können wir nicht erst etwas essen?«, fragte Kasper und verzog das Gesicht.
»Ihr dürft rasch etwas trinken, aber dann bringt ihr die Tiere hinein«, sagte Grete ungewohnt streng.
Emilia blieb unsicher an der Tür stehen. Sie wusste nicht, ob sie mit hineinkommen oder nach Hause gehen sollte. Die Familie Jörgensen verschwand im Haus, niemand schien Emilia zu beachten.
Levke kam wieder heraus, wischte sich über den Mund und sah Emilia erstaunt an. »Was stehst du denn hier so rum? Willst du nicht reingehen?«
»Weiß nicht.« Emilia trat von einem Bein auf das andere, schaute den Hügel hinauf zu ihrem Elternhaus und wieder zurück.
»Geh rein. Es gibt Wasser mit Apfelwein, Brot und Schmalz. Frische Erbsensuppe mit Einlage gibt es gleich auch.«
Wasser mit Apfelwein. Das ließ sich Emilia nicht zweimal sagen. Sie schlüpfte ins Haus. Grete saß auf dem Stuhl, einen Lappen auf der Stirn. »Gebe Gott, dass es das wert war«, seufzte sie. »Gebetet haben wir für alle.«
»Mutter.« Ida räusperte sich. Grete schlug die Augen auf und bemerkte Emilia, die sich an der Tür herumdrückte.
»Ach Kind, was machen wir denn mit dir? Ida, lauf rüber und frag nach.«
Die Magd seufzte, fügte sich aber.
»Nimm dir etwas zu trinken und eine Scheibe Brot, meine Kleine«, sagte Grete freundlich und sofort fühlte sich Emilia besser.
Ich darf keine Fehler mehr machen, ich muss brav sein, sagte sie sich. Wenn ich brav bin, wird alles wieder gut.
Sie nahm sich eine Scheibe von dem dunklen und festen Brot, das Ida immer buk. Es schmeckte würziger, auch wenn es nicht so fein war wie das weiße Brot, das es bei ihnen gab.
Gerade als sie hineinbiss, hörte sie das Hufgetrappel eines Gespanns. Kasper kam in
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