Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
nicht darauf zubewegen, ohne Verdacht zu erregen.
»Hierher!«, rief Rinehart einer unsichtbaren Gestalt im Foyer zu, und dann erschien Paul Bancroft. Er sah aus, als sei er aus dem Bett geholt worden, was wohl auch stimmte, und hastig in Sweatshirt und Khakihose geschlüpft. Er hielt einen kleinen Revolver in der Hand. Seine Fingerknöchel waren weiß.
»Dies ist Ihre Nemesis«, sagte Rinehart. »Und unsere.«
Der alternde Philosoph starrte den Jungen an. Sein Mund stand leicht offen. »Mein Sohn«, flüsterte er heiser.
»Tut mir leid, Paul«, sagte Rinehart fast zärtlich. »Die Bibel beginnt mit der Genesis, aber sie endet mit der Offenbarung. Dies ist unsere.«
Der alte Mann wandte sich mit wildem Blick an Rinehart. »Das muss ein Irrtum sein! Das ist unmöglich!«
»Und trotzdem«, wehrte Rinehart gelassen ab, »erklärt das vieles, nicht wahr? Wieso er Einblick in viele Ihrer Akten hatte. Wieso er …«
»Ist das wahr, Brandon?«, stieß Bancroft hervor. »Brandon, sag mir, ist das wahr?«
Der Junge nickte.
»Wie konntest du mir das antun?«, heulte sein Vater empört auf. »Wie konntest du versuchen, mein Lebenswerk zu zerstören? Nach all der Arbeit, die wir aufgewendet haben, um die Welt besser zu machen – der Organisation, der Planung, der Sorge –, hast du hier gesessen und gegen uns gearbeitet? Um die Welt zurückzuwerfen? Hasst du die Menschheit so sehr? Hasst du mich so sehr?«
»Dad, ich liebe dich«, sagte Brandon leise. »Daran hat’s nicht gelegen.«
Jared Rinehart räusperte sich. »Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt für Sentimentalitäten. Was getan werden muss, steht fest.«
»Bitte, Jared!«, sagte der weißhaarige Gelehrte scharf. »Lassen Sie uns einen Augenblick Zeit.«
»Nein«, sagte der Agent streng. »Wird Ihr Handeln jetzt nicht von Ihren Prinzipien bestimmt, war Ihr ganzes Leben Betrug. Der größte Nutzen für die größte Anzahl von Menschen – das ist ein Ziel, von dem nicht abgewichen werden darf, wie Sie immer erklärt haben. Wissen Sie noch, was Sie uns gelehrt haben? ›Welcher Zauber wohnt dem Pronomen »mein« inne?‹ Genesis ist Ihr Sohn, ja, aber er besitzt nur ein Leben. Um Ihres Lebenswerks willen – um der gesamten Welt willen – müssen Sie es ihm nehmen.«
Paul Bancroft hob den kleinen Revolver. Seine Hand zitterte sichtbar.
»Oder Sie überlassen es mir, wenn Ihnen das lieber ist«, fügte Rinehart hinzu.
Brandon, der noch immer saß, wandte sich seinem Vater zu. Aus seinem Blick sprachen Liebe, aber auch Entschlossenheit und Enttäuschung.
»Dein Wille, nicht meiner, o Herr, wie dunkel er auch sein möge.« Der Junge begann mit dünner, brüchiger Altstimme zu singen. Eine Träne lief über seine Wange. Belknap ahnte jedoch, dass er nicht um sich selbst, sondern um seinen Vater weinte.
»Seiner Überzeugung nach hat niemand das Recht, Gott zu spielen«, sagte Belknap. Er starrte den alten Philosophen an. Anmaßung und Selbstherrlichkeit hatten seinen Idealismus korrumpiert, ihn zu einer Ungeheuerlichkeit verzerrt. Letztlich war er nicht Gott, sondern nur ein Mensch – ein Mann, der seinen Sohn offenkundig über alles liebte.
Paul Bancroft, war sichtbar erschüttert, gramgebeugt, vor Kummer fast gelähmt, als er sich an Rinehart wandte. »Glauben Sie mir, er wird Vernunft annehmen. Letzten Endes wird er Vernunft annehmen.« Er sprach eifrig und mit panischer Beredsamkeit auf seinen Sohn ein. »Mein Kind, du sagst, dass jedes Leben heilig ist. Aber das ist die Sprache der Religion, nicht der Vernunft. Stattdessen können wir sagen, dass jedes Leben einen Wert hat. Jedes Leben zählt . Und weil das so ist, dürfen wir nicht vor dem Zählen zurückschrecken. Die Leben zu zählen, die wir retten können. Die positiven Folgen schmerzlicher Maßnahmen. Das verstehst du doch, nicht wahr?« Er sprach eindringlich und bemühte sich verzweifelt, seine Weltsicht gegen den starken Skeptizismus in dem klaren Blick des Jungen zu verteidigen. »Ich habe mein Leben dem Dienst am Menschen geweiht. Um die Welt für alle besser zu machen. Um deine Welt besser zu machen. Weil du, mein Sohn, die Zukunft verkörperst.«
Brandon schüttelte nur langsam den Kopf.
»Manche Leute sagen, dass sie kein Kind in eine Welt setzen wollen, auf der es so schlimm zugeht. In meiner Lebenszeit hat es Erderwärmung, Völkermorde, Gulags, Hungersnöte, Massaker und Terrorismus gegeben – die Vernichtung von Dutzenden von Millionen Menschenleben aus menschlicher
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