Die Bank
1. Kapitel
Ich weiß, was ich will. Und ich weiß auch, wer ich sein will. Deshalb habe ich diesen Job überhaupt angenommen … und deshalb gebe ich mich jetzt, vier Jahre später, immer noch mit Klienten ab. Und ihren Ansprüchen. Und ihren dicken Geldbündeln. Vor allem wollen sie im Hintergrund bleiben, worauf diese Bank spezialisiert ist. In anderen Fällen bevorzugen sie einen etwas persönlicheren Touch. Mein Telefon klingelt, und ich fahre meinen Charme hoch. »Hier spricht Oliver Caruso«, melde ich mich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wo zum Teufel ist Ihr Boß?« Die Südstaatenstimme schnarrt wie eine Kettensäge in meinem Ohr.
»Wie … Wie bitte?«
»Piß dir nicht ins Hemd, Caruso! Ich will mein Geld !«
Erst als er das Wort Geld sagt, erkenne ich den Akzent. Tanner Drew, der größte Spekulant in Luxuswolkenkratzern in New York City und der Oberste Patriarch des Drew Family-Office. In der Welt der Superreichen ist ein Family-Office das höchste, was man erreichen kann. Rockefeller. Rothschild. Gates und Soros. Sobald man es eingerichtet hat, überwacht das Family-Office alle Berater, Anwälte und Bankiers, die das Geld der Familie verwalten. Das sind bezahlte Profis, die jeden letzten Pfennig maximieren sollen. Man spricht nicht mehr mit der Familie, sondern mit dem Office. Wenn also der Chef des Familienclans mich persönlich anruft … werden mir wohl einige Zähne gezogen.
»Ist die Überweisung noch nicht eingegangen, Mr. Drew?«
»Damit liegst du verdammt richtig, Klugscheißer! Sie ist noch nicht eingegangen! Wie willst du das geradebiegen? Dein Boß hat mir versprochen, daß das Geld bis um vierzehn Uhr hier ist! Vierzehn Uhr!« Er schreit.
»Es tut mir leid, Sir, aber Mr. Lapidus ist …«
»Es interessiert mich nicht die Bohne, wo er ist … Der Kerl von Forbes hat mir den heutigen Tag als Deadline gesetzt; ich habe deinem Boß diese Deadline weitergegeben, und jetzt setze ich dir diese Deadline! Was gibt es da noch lange zu reden?«
Mein Mund ist trocken. Jedes Jahr listet die Forbes die vierhundert reichsten Individuen der Vereinigten Staaten auf. Letztes Jahr war Tanner Drew Nummer 403. Darüber war er alles andere als erfreut. Also hat er sich in den Kopf gesetzt, dieses Jahr drei Plätze aufzusteigen. Pech für mich, daß das einzige, was dem im Weg steht, eine Vierzig-Millionen-Dollar-Überweisung auf sein persönliches Konto ist, die wir anscheinend noch nicht getätigt haben.
»Warten Sie bitte eine Sekunde, Sir, ich …«
»Wage es ja nicht, mich in die Warteschlei …!«
Ich drücke den Knopf Gespräch halten und bete um Regen. Nachdem ich eine Schnellwahltaste gedrückt habe, warte ich auf die Stimme von Judy Sklar, Lapidus’ Sekretärin. Aber mir antwortet nur ihre Voicemail. Da sich ihr Chef für den Rest des Tages mit seinen Partnern zurückgezogen hat, gibt es für sie keinen Grund zu bleiben. Ich lege auf und wähle erneut. Diesmal gehe ich sofort auf DEFCON EINS. Das ist das Mobiltelefon von Henry Lapidus. Nach dem ersten Klingeln meldet sich niemand. Nach dem zweiten auch nicht. Beim dritten Klingeln starre ich hilflos auf das rote blinkende Licht an meinem Telefon. Tanner Drew wartet noch immer.
Ich schalte zu ihm um und greife mir mein eigenes Mobiltelefon.
»Ich warte nur auf den Rückruf von Mister Lapidus«, erkläre ich ihm.
»Bürschchen, wenn du mich noch einmal in die Warteschleife schickst …!«
Ich höre ihm nicht zu. Statt dessen fliegen meine Finger über die Tasten meines Handys und wählen die Nummer von Lapidus’ Pager. Als ich das Signal höre, drücke ich die Nummer meines Nebenanschlusses und füge die Zahl »1822« hinzu. Der Code für den absoluten Notfall: zweimal 911.
»… noch eine von deinen verdammten Entschuldigungen. Ich will nur hören, daß die Überweisung getätigt wurde!«
»Ich verstehe, Sir.«
»Nein, mein Junge. Das tust du nicht!«
Komm schon, flehe ich und starre auf mein Handy. Klingle endlich!
»Wann geht eure letzte Überweisung raus?« faucht Tanner mich an.
»Eigentlich schließen wir offiziell um fünfzehn Uhr …« Meine Wanduhr verrät mir, daß es bereits Viertel nach drei ist.
»… aber manchmal können wir es auch bis um sechzehn Uhr verlängern.« Als er nicht antwortet, frage ich: »Auf welches Konto auf welcher Bank sollte das Geld gehen?«
Er gibt mir rasch die Daten, die ich auf einen Notizblock kritzele. Schließlich fragt er mich: »Oliver Caruso, richtig? So heißen Sie doch?« Seine
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