Die Baumgartners
klar wurde, dass Maureen weiterhin tief und fest schlief und nichts von ihrem nächtlichen Ausflug mitbekommen hatte, schlich sich Carrie vorsichtig auf die andere Seite des Zimmers, zog ihren Bademantel aus, streifte sich ihre nassen Socken ab und ließ diese schnell unter ihrem Bett verschwinden, bevor sie unter ihre Decke schlüpfte und inständig hoffte, dass der nächste Morgen niemals anbrechen würde.
* * * *
Carrie hasste die Arbeit in der Cafeteria. Kein anderer Job am College schrie mehr danach, dass man arm war und Geld brauchte, als wenn man seinen Kommilitonen tagein tagaus das Essen über den Schalter reichen musste. Doch Carrie war nun mal arm wie eine Kirchenmaus, denn im Gegensatz zu den meisten ihrer Kommilitonen hatte sie keine reichen Eltern. Und auch die, die keine reichen Eltern hatten, hatten wenigstens noch ihre Eltern – ebenfalls ganz im Gegensatz zu Carrie.
„Wo steckt eigentlich Juliana?“ Carrie steckte ihren Kopf aus der Küche und sah, wie ihre Mitarbeiter draußen an einem Tisch hockten und dort gemeinsam Müsli und Rührei aßen. Sie hatte sich gleich in ihrem ersten College-Jahr zur studentischen Küchenleiterin hochgearbeitet.
„Die ist krank“, nuschelte jemand mit einem Mund voller Müsli als Antwort, und Carrie verdrehte wissend die Augen. Krank bedeutete in der College-Sprache nichts anderes als „noch völlig verkatert von letzter Nacht“. Na toll! Jetzt musste sie schon wieder an der Kasse einspringen.
Die Arbeit an der Kasse war eigentlich nicht schwer oder besser gesagt so einfach, dass selbst ein halbwegs aufgeweckter Schimpanse den Job nach wenigen Sekunden Einarbeitungszeit mühelos übernehmen konnte. Man musste einfach nur dasitzen und die Ausweiskarten der Studenten durch den Schlitz am Lesegerät ziehen. Trotzdem hasste sie es. Am schlimmsten waren die Blicke der anderen Kommilitonen, und zwar nicht die herablassenden, verächtlichen oder mitleidigen Blicke, sondern die betont gelangweilten, abwesenden und desinteressierten Blicke, mit denen die meisten einfach durch sie hindurch sahen. Sie taten absichtlich so, als ob Carrie für sie unsichtbar wäre. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie es taten, weil sie sich von ihrem Schicksal unangenehm berührt fühlten oder weil sie ihr damit auf besonders gemeine und subtile Weise klarmachen wollten, dass sie nicht zu ihnen gehörte.
Aber ganz gleich, aus welchem Grund – ihr Verhalten war so oder so gedankenlos. Nachdem ihre Mitarbeiter ihre Teller geleert und sich an ihre Ausgabestationen begeben hatten, lief Carrie zu den noch verschlossenen Eingangstüren der Cafeteria. Sie genoss den Moment, wenn sie durch die verriegelten Glastüren auf die ansehnliche Schlange aus hungrigen Kommilitonen blickte, die bereits sehnsüchtig darauf warteten, endlich von ihr eingelassen zu werden. Trotz der Macht, den sie in diesem Moment über sie hatte, fühlte er sich vollkommen leer und nutzlos an. Und genau das war er auch.
Nach dem Aufschließen lief Carrie schnell wieder an ihren Platz zurück, zu dem sich die Schlange inzwischen vorbewegt hatte und bis zum Eingang zurückstaute, und zog den ersten Schwung Plastikkarten so schnell sie konnte durch den Schlitz des Lesegeräts, während das übliche triviale Geschnatter der wartenden Studenten den Raum erfüllte. Trotzdem verachtete sie ihre Kommilitonen nicht, sondern beneidete sie. Nur allzu gern hätte sie jetzt mit ihnen in der Schlange gestanden, ohne sich den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, wie man einen großen Schwung Plastikkarten schnellstmöglich durch ein Lesegerät zieht, und sich lieber mit ihren Freunden über die bevorstehenden Abschlussprüfungen unterhalten.
Genau dieses Thema bereitete ihr nämlich große Sorgen, denn durch ihre Armut war sie neben der Arbeit in der Cafeteria auch dazu verdammt, ausnahmslos gute Noten zu erzielen. Ansonsten wäre sie ganz schnell ihr Stipendium los und würde sich das College von einem Tag auf den anderen nicht mehr leisten können. Deshalb musste sie die meisten von Maureens Einladungen, am Freitag- oder Samstagabend mit ihr und ihrer Gang auszugehen, ablehnen und stattdessen bis spät in die Nacht lernen.
Nur noch zwei Wochen, sagte sie zu sich selbst, während sie eine weitere Ausweiskarte durchs Lesegerät zog und sie dann ohne aufzublicken zurückgab. Wenigstens war das Sommersemester etwas entspannter. Zwischen dem Sommer- und dem Herbstsemester gab es eine zweiwöchige Ferienpause, vor der sie sich
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