Die Baumgartners
normalerweise fürchtete, da sie abgesehen von genügend Geld weder Freunde noch Familie hatte, die sie in dieser Zeit hätte besuchen können. Doch Maureen hatte sie dazu überredet, sie in diesem Jahr nach Key West in Florida zu begleiten. Sie hatte das ganze Jahr hart dafür gearbeitet und eisern gespart. Und nach ihrer Rückkehr gab es endlich nur noch ein letztes Jahr am College, das sie von der Freiheit trennte.
Sie griff wie ein Roboter nach der nächsten Karte – die Schlange war inzwischen deutlich kürzer geworden, da sich der übliche Frühstücksansturm inzwischen gelegt hatte – doch der Student, dem die Karte gehörte, hielt sie fest und gab sie nicht aus der Hand. Als sie überrascht zu ihm aufblickte und den Inhaber erkannte, spürte sie einen heftigen Stich in der Herzgegend. Ihre Blicke trafen sich. Er lächelte.
„Hallo Carrie.“
Stephen J. Baumgartner. Sein Name war wie bei allen Karten gleich neben seinem Foto auf die Karte gedruckt, das er halb mit seinem Daumen verdeckte.
„Oh, hallo“, erwiderte sie zögernd und peinlich berührt, während ihre Wangen wie Feuer brannten. Bestimmt hatte sie das von letzter Nacht alles nur geträumt. Zumindest wollte sie sich genau das einreden, als sie an diesem Morgen ihren Wecker ausgestellt und Maureen sich ihr Kissen über den Kopf gezogen hatte, während Carrie aufstand und sich für die Frühschicht in der Cafeteria anzog und fertig machte. Bestimmt war alles nur ein verworrener Traum, der dem Dunst des Alkohols entsprungen war, von dem sie am Freitagabend offenbar ein wenig zu viel getrunken hatte – sie war in Wirklichkeit nicht mitten in der Nacht hinunter ins Männerbad gehuscht, um dort einem Typ seelenruhig beim Wichsen in der Duschkabine zuzusehen.
Doch genau dieser Typ stand jetzt in Fleisch und Blut vor ihr und ließ Carries Traumversion wie eine Seifenblase zerplatzen. Er trug die inoffizielle Campus-Uniform, die aus Jeans, einem adretten Poloshirt und Slippern bestand. Sie hatte ihn letzte Nacht bereits ohne diese Klamotten gesehen, und sein Anblick, wie er sich nackt auf der Sitzbank in der Duschkabine ausgestreckt seinen Schwanz gewichst hatte, war tief in ihrem Gedächtnis eingebrannt.
„Tja...“ Er ließ das Wort ganz langsam aus seinem Mund gleiten und im Raum stehen. Sie errötete und wünschte sich inständig, dass im nächsten Moment eine Horde Studenten durch die Eingangstür hereinkommen würde, damit er weitergehen musste. Schließlich ließ er seine Ausweiskarte los, und sie zog sie schnell durchs Lesegerät und gab sie ihm wieder zurück, nachdem die LED-Anzeige von rot auf grün gewechselt hatte. Auf dem Bild auf seinem Ausweis war er perfekt getroffen –offenbar war er äußerst fotogen. Sein lockiges Haar sah darauf hübsch verwuschelt aus, und auf seinem gebräunten Gesicht zeichnete sich ein breites und verschmitztes Grinsen ab. Doch wer hatte auf den unzähligen Studentenausweisen, die täglich durch ihre Hände gingen, sonst noch ein dermaßen verdammt gutes Foto von sich? Niemand! Das Bild auf ihrem Ausweis zeigte sie mit halb geschlossenen Augenlidern und einem strengen Pferdeschwanz, zu dem sie ihr honigblondes Haar zurückgebunden hatte.
„Heute Abend steigt bei uns im Wohnheim eine fette Party.“ Er nahm den Ausweis, dem sie ihm entgegen hielt, und steckte ihn in sein Portemonnaie.
Sie würden also einfach so tun, als ob letzte Nacht überhaupt nichts passiert wäre. Okay, damit würde sie problemlos klarkommen. Zumindest wusste sie jetzt, wie sie auch in seinem Sinne am besten damit umgehen konnte. Aber wieso erzählte er ihr dann von der Party?
„Ja, Maureen geht da bestimmt hin.“ Einen anderen Zusammenhang konnte sie sich nicht vorstellen – wahrscheinlich interessierte er sich einfach nur für ihre Zimmergenossin. Denn Maureen ließ in der Regel selbst kurz vor den Abschlussprüfungen keine Party aus – schon gar nicht, wenn sie quasi direkt vor ihrer Nase stattfand. Aber Maureen musste sich auch keine Sorgen um ihre Noten machen. Schließlich hatten sie ihre reichen Eltern nicht auf dieses kleine und renommierte College in New England geschickt, damit sie gute Noten holte, sondern sich einen gut situierten Ehemann angelte. Und genau das war ihr schon so gut wie gelungen. Solange James sie nicht daran hinderte, ihre geliebten Partys zu besuchen, verhielt Maureen sich ihm gegenüber wie das bravste Mädchen aller Zeiten.
„Und was ist mit dir?“ Sein Lächeln war dermaßen ansteckend,
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