Die Beschützerin
Blut ausgetreten. Was meine Patientin sagt, ist absolut plausibel«, schaltete sich der Arzt ein, der auf einmal wieder im Zimmer stand. »Ich denke, es genügt für heute mit der Befragung.«
»Haben Sie Vanessa Ott gefunden?«, fragte ich die Polizisten.
»Nein, aber die Suche läuft noch«, gab der jüngere zurück. »Die Seenotretter sind unterwegs, parallel sucht ein Hubschrauber die Bucht ab. Es wurde ein führerloses Motorboot in der Nähe von Wieschendorf treibend gefunden. Es ist von der Vermissten in Wismar gechartert worden.«
Ich starrte ihn an, konnte seinen Erklärungen nicht folgen. »Sie müssen Sie finden. Bitte! Suchen Sie weiter! Sie müssen Sie finden.«
17
8 Monate später
Im Garten riecht es nach Frühling. Es ist erst Anfang März, aber die Sonne besitzt schon Kraft. Gelb und lila leuchten Narzissen und Krokusse in der Erde. Ich hole Spaten und Hacke aus dem Geräteschuppen. Heute geht es den alten Sträuchern an den Kragen. Ich brauche den Platz für ein Gemüsebeet.
Es gibt Tage, an denen mich mein neues Leben so sehr erfüllt, dass ich kein einziges Mal an Vanessa Ott denke. Ich lebe nun anders. Intensiver. Die Ãrzte meinten, es sei ein Wunder gewesen, dass ich überlebt habe. Und so empfinde ich mein Leben: als ein Wunder.
Vanessa Otts Leiche wurde nicht gefunden. Mich traf keine Schuld an ihrem Tod. Die Polizei schenkte meinem Bericht Glauben, dass ich in Notwehr gehandelt hatte, um mich zu retten. Nach vierzehn Tagen konnte ich das Krankenhaus verlassen. Noch weitere drei Wochen war ich krankgeschrieben und wohnte bei Gregor. Meine Wohnung hatte ich seit der Sache auf dem Boot nicht mehr betreten. Innerlich nannte ich es »die Sache«. Es gab genaue Beschreibungen für das, was passiert war, doch ich konnte sie nicht einmal denken. Ich verdrängte das alles. Ich brauchte Zeit.
Meine Mutter besuchte mich. Nach Jahren verlieà sie zum ersten Mal ihr Haus, ihre Festung, und kam nach Berlin, um nach mir zu sehen. Wir haben nicht über die Vergangenheit gesprochen; doch ich war glücklich, dass sie sich um mich sorgte. Und Gregor war so charmant zu ihr, dass sie sich bei uns wohlfühlen musste .
Und mich verwöhnte er auch. Er kochte meine Lieblingsgerichte. Er lieh mir DVD s aus, fuhr mit mir aufs Land, versuchte mich abzulenken.
Bei einem unserer Spaziergänge entdeckten wir schlieÃlich das Haus. Es lag in der Nähe eines Badesees in dem Dörfchen Glindow, und die Fahrzeit nach Berlin betrug weniger als eine halbe Stunde. Wir knobelten ein paar Wochen an der Finanzierung herum und kauften es dann. Meine Mutter gab mir meinen Teil aus dem Erbe meines Vaters dazu, und Gregor hatte kein Problem damit, Vanessa Otts groÃzügige Entlohnung für die Restaurierung der Möbel mit hineinzustecken. Die Vorstellung war mir unheimlich. Nahmen wir auf diese Weise nicht ihr Erbe mit in unsere Zukunft? Aber ich sagte nichts dazu.
Ich hätte auf meinen Bauch hören sollen.
Das Haus war lange nicht renoviert worden, der Keller war feucht, das Dach undicht, aber vieles konnte Gregor selbst reparieren. Das Haus hatte fünf Wohnräume auf zwei Etagen. Vor allem aber gehörte ein geräumiger Schuppen dazu, den Gregor sich zu einer Werkstatt ausbaute. Den Garten hatte ich zu meinem Zufluchtsort erklärt, und ich räumte ihn kräftig auf. Ich holte Buchsbäume aus der Erde, die den Winter nicht überlebt hatten, und bereitete Beete vor, in die ich später Gemüse, Kräuter und Blumen pflanzen wollte. Später, wenn die Nachtfröste endlich vorbei waren. Im Geiste sah ich meinen Garten schon blühen, eine Pracht aus Rosen, Wicken und Kamelien.
Lange hatte ich überlegt, ob ich bei Alfa.Sat eine Zukunft haben konnte. Durch Vanessas Tod schien das grausame Kapitel endgültig abgeschlossen zu sein. Niemand sprach es aus, aber es fühlte sich so stimmig an. Die Gerechtigkeit war wiederhergestellt. Vanessa war die Ursache allen Ãbels gewesen, und sie hatte dafür bezahlt. Es erschien mir manchmal unheimlich, aber keiner erwähnte sie mehr, nicht einmal Karsten Klingbeil, der seine Enthüllungsstory aufgab. Sie war mehr als tot, totgeschwiegen.
Doch mein Leben musste weitergehen. Auch bei Alfa.Sat. Denn warum sollte ich meinen Job aufgeben, der mir Spaà machte und in dem ich gut war, besser als von Hirten? Ich hatte die Beförderung verdient. Ich sagte
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