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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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Prolog
    In der Wohnung ist es vollkommen still. Das ist ihr wichtig gewesen, ein ruhiges Schlafzimmer. Doch sie mochte auch die Kinderstimmen am Nachmittag im Hof. Nun wird sie nie mehr an diesen Ort zurückkehren.
    Du aber bist noch einmal hier. Du lehnst am Fenster. Die letzten Blätter der Esche leuchten gelb vor dem schmutzigen Grau der Hofmauer. Mit jedem Blatt, das zu Boden schwebt, verschwindet ein Stück des Sommers. Bald werden nur noch die kahlen Äste übrig bleiben. Einen endlosen kalten Winter lang.
    Du betrachtest ein letztes Mal das Bild. Ein Fotopanorama auf Leinwand, so breit wie das Bett. Sandmulden, Wurzelgestrüpp, ausgedörrte Gräser. Graue Erde, erdrückt von einem schwefelgelben Himmel. Farben, die in der Hitze flirren. Den Tiger entdeckst du später, auf den zweiten Blick, dabei weißt du, dass er dort lauert, im Staub. Er verschmilzt mit der Steppe, den Körper zum Sprung bereit, die Augen auf das stumpfe Fell der Antilope gerichtet, die schon in wilden Zickzack-Sprüngen vor ihm flüchtet. Seine hungrigen Augen. Die Beute hat keine Chance. Es liegt eine tiefe Gewissheit in seinem Blick, dass er siegen wird.
    Du wendest dich ab. Nur noch einmal ins Badezimmer schauen. An den Fliesen in der Dusche haften glitzernde Tropfen. Zart schwebt der Duft nach Rosen in der Luft, das Handtuch bewahrt noch die warme Feuchtigkeit ihres Körpers. Du spürst den Frieden dieses Ortes. Du selbst warst Teil davon, gehörtest dazu.
    Verabschiede dich.
    Kein Blut. Keine Spuren. Du willst diesen Ort so in Erinnerung behalten. Und deshalb soll sie nicht hier sterben.
    Dennoch, in wenigen Stunden wird die Wohnung voller Menschen sein. Männer in weißen Overalls werden nach Hinweisen suchen. Sie fordern von diesem Ort eine Erklärung.
    Beeil dich. Beende es.
    Du gehst ins Wohnzimmer, streifst die Handschuhe über und setzt dich an ihren Schreibtisch. Die Farbe des Briefbogens erinnert an blassen Flieder. Es ist edles Büttenpapier, weich fließt die Tinte hinein, leicht fliegen die Worte dir zu. Du musst nichts erfinden. Du weißt, wovon du schreibst. Du malst die Buchstaben, das V von Verzweiflung, das A von Abschied. Und das T von Tod. Als ob du deine eigene Handschrift vergessen hättest. Du setzt die Unterschrift darunter, ein letztes Mal das schwungvolle K. Du faltest den Papierbogen, presst die Kanten zusammen, die zarten Fasern brechen. Dann steckst du ihn in den fliederfarbenen Umschlag und legst ihn aufs Kopfkissen. Auch hier ist der Geruch, ihr Duft. Hängt er im Betttuch? Ein kleiner Rest Wärme und Leben.
    Du möchtest lächeln, doch dein Gesicht fühlt sich an wie gefroren.
    Noch einmal streichst du über die Bettdecke.
    Geh. Beende es.
    Du ziehst die Tür hinter dir zu.

1
    Als ich Vanessa Ott zum ersten Mal begegnete, hatte ich fast zwanzig Stunden durchgearbeitet. In der Hektik hatte ich meine Kleider vom Vortag angezogen und fühlte mich klebrig und verschwitzt. Seit Tagen kletterte das Thermometer auf dreißig Grad, und der Dresscode im Sender war außer Kraft gesetzt. Sogar der Vorstandschef lief kurzärmelig herum. Vanessa Ott schien die Hitze nicht zu spüren. Das fiel mir sofort an ihr auf. Ihr Make-up war perfekt aufgetragen. Sie trug eine langärmelige Bluse, deren Manschetten bis zu den Fingerknöcheln reichten, und die Hand, die sie mir zur Begrüßung hinstreckte, war kalt.
    Das war an einem Montagmorgen gewesen, doch der Startschuss für die Ereignisse war bereits am Tag zuvor gefallen.
    Wenn mir an diesem Sonntag jemand verraten hätte, dass meine wunderbaren Pläne ins Wasser fallen würden, hätte ich mich einfach im Bett umgedreht und weitergeschlafen. So aber blinzelte ich freudig in die ersten Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen. Gregor lag auf dem Bauch und hatte seinen Kopf ins Kissen vergraben. Er war nackt und seine Zudecke halb auf den Boden gerutscht. Ich betrachtete seinen Körper und widerstand der Versuchung, über seinen Rücken zu streichen. Ich wollte ihn noch nicht wecken, Gregor liebte es, am Wochenende auszuschlafen. Doch für heute hatten wir geplant, zum Segeln an die Ostsee zu fahren, und das lohnte sich nur, wenn wir rechtzeitig aufbrachen. Ich beschloss, ihm eine Schonfrist zu gönnen, ging leise ins Bad, dann in die Küche, machte mir einen Milchkaffee und setzte mich in die Werkstatt auf ein gemütliches, durchgesessenes Sofa im Empirestil. Tische

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