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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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vorüberkam, blieb er stehen, um sich zu betrachten. Er alterte nicht, er war schon der Vierzig nahe, ohne daß das brennende Roth seiner krausen Haare zu bleichen begonnen hätte. Sein sonnenblonder Bart blieb dicht. Seine Figur war nur mittelgroß, aber ließ außerordentliche Körperkräfte ahnen. Er gefiel sich, er schien von seinem ein wenig flachen Haupte, der niedrigen Stirn, dem Stiernacken und seinem runden, blutvollen Gesicht, welches zwei große, lebhafte Augen erhellten, sehr befriedigt. Seine Augenbrauen liefen ineinander.
    Er hatte eine um fünfzehn Jahre jüngere Frau geheirathet. Es war ihm daher ein Bedürfniß, öfter den Spiegel zu Rathe zu ziehen, und was er dort erblickte, gab ihm die Ruhe wieder zurück.
    Man hörte das Geräusch nahender Schritte. Roubaud öffnete eilig die Thür etwas. Es war eine Zeitungsverkäuferin des Bahnhofs, die ihr nebenan gelegenes Zimmer aufsuchte. Er wandte sich in das Zimmer zurück und interessirte sich zunächst für eine auf dem Anrichteschrank stehende Muschelschachtel. Er kannte sie sehr gut, denn es war ein Geschenk von Séverine an die Mutter Victoire, ihre Amme. Dieser kleine Gegenstand rief ihm sofort die Geschichte seiner Heirath in’s Gedächtniß. Bald war es drei Jahre her. Er selbst war im Süden, in Plassans als Sohn eines Kärrners geboren. Aus dem Militärdienst schied er mit dem Grade eines Feldwebels. Dann war er lange Zeit Bahnpostbeamter auf dem Bahnhof zu Mantes, aus welcher Stellung er in die eines Oberbahnpostbeamten in Barentin überging. Hier hatte er seine theure Frau kennen gelernt, als sie in Begleitung von Fräulein Berthe, der Tochter des Präsidenten Grandmorin von Doinville kam, um in Barentin den Zug zu besteigen. Séverine Aubry war allerdings nur das jüngste Kind eines im Dienste des Grandmorin gestorbenen Gärtners, aber der Präsident, ihr Pathe und Vormund, bevorzugte sie in so auffälliger Weise –sie blieb die Gefährtin seiner Tochter, mit der zusammen sie in das Pensionat in Rouen geschickt wurde –und sie selbst war von solcher ihr angeborner Vornehmheit, daß Roubaud lange Zeit sich mit keinem Wörtchen ihr zu nahen wagte und sie mit der Leidenschaft eines Grobarbeiters, den ein zierliches, von ihm für kostbar gehaltenes Juwel lockt, aus der Entfernung anschmachtete. Das war der einzige Roman seines Lebens. Er würde sie geheirathet haben, auch wenn sie keinen Pfennig besessen hätte, lediglich aus Freude an ihrem Besitz, und als er sich endlich erkühnt hatte, übertraf die Verwirklichung weit den Traum: außer Séverine und einer Mitgift von zehntausend Franken hatte der Präsident, der sich bereits zur Ruhe gesetzt und Mitglied des Aufsichtsrathes der Westbahn-Gesellschaft war, ihn unter seine Protection genommen. Auf diese Weise kam er am Tage nach seiner Hochzeit als Bahnhofs-Unterinspector nach Havre. In ihm steckte jedenfalls das Zeug zu einem guten Beamten, er war solide, pünktlich, gewissenhaft, hatte einen etwas beschränkten, aber sehr rechtschaffen denkenden Geist, kurz, er besaß alle Eigenschaften, welche die sofortige Erfüllung seines Gesuches und die Schnelligkeit seiner Laufbahn erklärlich machten. Ihm war aber der Gedanke lieber, daß er Alles seiner Frau zu verdanken habe. Er anbetete sie geradezu.
    Nachdem Roubaud noch die Sardinenbüchse geöffnet, verlor er vollends die Geduld. Um drei Uhr hatte man sich treffen wollen. Wo nur konnte sie stecken? Sie sollte ihm nicht damit kommen, daß der Einkauf von einem Paar Schuhe und sechs Hemden den ganzen Tag koste. Als er sich von Neuem dem Spiegel gegenüber sah, bemerkte er, daß seine Augenbrauen sich sträubten und eine tiefe Falte die Stirn durchfurchte. In Havre war ihm nie ein Verdacht in den Sinn gekommen. In Paris aber schuf seine Einbildung alle möglichen Arten von Gefahren, Listen, Vergehen. Ein Blutstrom ergoß sich in sein Gehirn und die Fäuste des ehemaligen Bahnarbeiters ballten sich, wie zu jener Zeit, als er noch die Waggons rangiren half. Er wurde wieder zum Vieh, das seiner Kräfte nicht bewußt ist, er würde seine Frau in einem Anfall blinder Wuth zermalmt haben.
    Die Thür flog auf und Séverine betrat frisch und fröhlich das Zimmer.
    »Da bin ich … Du hast gewiß geglaubt, ich bin verloren gegangen?«
    In dem Jugendreiz ihrer fünfundzwanzig Jahre hielt man sie zuerst für groß, schlank und sehr geschmeidig, und doch war sie rund, denn ihre Knochen waren sehr zart. Auch war sie auf den ersten Blick nicht niedlich, denn

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