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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie hatte ein längliches Gesicht, einen stark entwickelten Mund, der indessen prächtige Zähne sehen ließ. Aber wenn man sie näher betrachtete, verführte sie durch einen eigenthümlichen Reiz und auch durch den Blick ihrer großen blauen Augen unter ihrer vollen schwarzen Haarkrone.
    Als ihr Gatte, ohne ein Wort zu erwidern, fortfuhr, sie mit dem wirren, unstäten Blick zu examiniren, den sie so gut kannte, setzte sie gleich hinzu:
    »O, wie bin ich gelaufen … stelle Dir vor, daß kein Omnibus zu haben war. Für einen Wagen aber wollte ich kein Geld ausgeben und daher bin ich zu Fuß gekommen … Sieh nur, wie heiß mir ist.«
    »Du wirst mir doch nicht einreden wollen,« erwiderte er heftig, »daß Du jetzt aus dem
»Bon marché«
kommst.«
    Aber schon hing sie mit der schmeichlerischen Zärtlichkeit eines Kindes an seinem Halse und legte ihm ihre reizende, kleine, fleischige Hand ans den Mund.
    »Schweige, schweige. Du schlechter Mensch! … Du weißt doch, wie lieb ich Dich habe.«
    Ihre Persönlichkeit strömte eine so ehrliche Aufrichtigkeit aus, er hatte ein so untrügliches Gefühl, daß sie rein und rechtschaffen geblieben war, daß er sie wie toll in seine Arme schloß. Das war das gewöhnliche Ende seiner Verdächtigungen. Sie wehrte ihm nicht, denn sie ließ sich gern hätscheln. Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, die sie nicht zurückgab. Auch dieser Umstand, diese passive, töchterliche Neigung dieses großen Kindes, das sich nicht in die Liebende verwandelte, ließ eine dunkle Ungewißheit nicht von ihm weichen.
    »Du hast den
»Bon marché«
also ausgeplündert?«
    »O ja … Ich erzähle Dir Alles … Erst aber wollen mir essen … Habe ich einen Hunger! .. Halt und höre, ich habe Dir etwas mitgebracht. Du mußt aber erst sagen: mein schönes Geschenk.«
    Sie stand dicht vor ihm und lachte ihm ins Gesicht. Sie hatte ihre rechte Hand in die Tasche gesenkt und hielt in ihr einen Gegenstand, den sie aber nicht herauszog.
    »Sage flink: mein schönes Geschenk.«
    Er lachte ebenfalls und that ihr als gutmüthiger Kerl den Gefallen.
    »Mein schönes Geschenk.«
    Sie hatte als Ersatz für ein vor vierzehn Tagen verloren gegangenes und von ihm bejammertes Messer ihm ein neues gekauft. Er stieß einen Freudenschrei aus und erklärte dieses schöne neue Messer mit seinem Elfenbeinheft und der leuchtenden Klinge für vortrefflich. Er wollte es sofort in Gebrauch nehmen. Sie war entzückt von seiner Freude und bettelte ihm einen Sou ab, damit ihre Freundschaft nicht zerschnitten würde.
    »Essen, essen,« rief sie. »Nein, nein, ich bitte Dich, schließe das Fenster noch nicht. Mir ist noch zu warm.«
    Sie war zu ihm an das Fenster getreten und betrachtete dort, an seine Schulter gelehnt, während einiger Minuten den mächtigen Bahnkörper. Die Rauchwolken hatten sich jetzt verzogen, die wie Kupfer erglühende Sonnenscheibe versank drüben hinter den Häusern der Rue de Rome im Nebel. Unten führte eine Rangirmaschine den Zug nach Mantes, der um vier Uhr fünfundzwanzig Minuten abgehen sollte, schon fertig rangirt, herauf. Sie stieß ihn auf den Strang neben dem Abfahrtssteig der Halle und wurde dann losgekoppelt. Das Zusammenstoßen der Puffer, das aus dem Waggonschuppen der Ringeisenbahn heraufschallte, belehrte, daß man vorsorglich mit der Ankoppelung von Waggons beschäftigt war. Einsam inmitten der Schienenstränge aber stand mit ihrem vom Staub der Fahrt geschwärzten Führer und Heizer eine schwerfällige Bummelzuglokomotive unbeweglich, als wäre ihr Athem und Kraft entschwunden, nur ein dünnes Rauchfädchen entströmte einem ihrer Ventile. Sie wartete, daß man ihr die Stränge zur Rückkehr in das Depot von Les Batignolles frei mache. Jetzt klappte ein rothes Signal auf und verschwand wieder. Die Lokomotive fuhr davon.
    »Sind diese kleinen Dauvergnes vergnügt!« fagte Roubaud beim Verlassen des Fensters. »Hörst Du, wie sie auf dem Piano herumpauken? … Ich sah vorhin Henri, der mir seine Empfehlungen an Dich auftrug.«
    »Zu Tisch, zu Tisch!« rief Séverine.
    Sie machte sich sofort an die Sardinen, die sie fast herunterschlang. Schon lange her, seit man in Mantes gefrühstückt! Wenn sie nach Paris kam, war sie wie berauscht. Jede ihrer Fiebern zuckte aus dem Glücksgefühl heraus, wieder über das pariser Pflaster gelaufen zu sein und von ihren Einkaufen im
»Bon marché«
fieberte sie noch. Alles, was sie im Winter erübrigt hatte, gab sie dort im Frühjahr auf einmal wieder aus. Sie

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