Die Bestimmung - Letzte Entscheidung: Band 3 (German Edition)
Macht streitig machen könnte.
Von einer Tyrannin zur nächsten. Das scheint die neueste Spielregel in unserer Welt zu sein.
» Warum hast du niemandem davon erzählt? « , fragt sie.
» Ich wollte nicht, dass jemand von meiner Schwäche erfährt « , sage ich. » Und ich wollte nicht, dass Four herausfindet, dass ich mit seinem Vater gemeinsame Sache mache. Mir war klar, dass er dagegen gewesen wäre. « Ich spüre, wie das Wahrheitsserum neue Worte in meine Kehle drängt. » Ich habe die Wahrheit über unsere Stadt aufgedeckt und euch den Grund, warum wir hier leben, gezeigt. Wenn du mir dafür schon nicht dankbar bist, solltest du wenigstens etwas unternehmen, statt hier auf dem Trümmerhaufen, in den du unsere Stadt verwandelt hast, zu sitzen und so zu tun, als wäre er dein Thron. «
Evelyns spöttisches Lächeln verzerrt sich, als hätte sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Sie beugt sich vor, ihr Gesicht schwebt vor meinem, und zum ersten Mal wird mir klar, wie alt sie eigentlich ist. Ich sehe die tiefen Falten um Augen und Mund, die ungesunde, fahle Hautfarbe, die vom jahrelangen Hunger kommen. Trotzdem sieht sie gut aus, genau wie ihr Sohn. Nicht einmal ein Leben am Rand des Verhungerns hat ihr das rauben können.
» Oh, ich unternehme tatsächlich etwas. Ich erschaffe eine neue Welt « , sagt sie und senkt ihre Stimme, bis ich sie kaum noch höre. » Ich war eine Altruan. Ich kannte die Wahrheit, und zwar lange vor dir, Beatrice Prior. Ich weiß nicht, wie du es schaffst, erneut ungestraft davonzukommen, aber eines kann ich dir versprechen: In meiner neuen Welt wird es keinen Platz für dich geben, erst recht keinen an der Seite meines Sohnes. «
Ich muss ein bisschen grinsen. Ich weiß, dass ich mich eigentlich beherrschen sollte, aber Gestik und Mimik sind schwieriger zu kontrollieren – und das Serum strömt immer noch durch meine Adern. Sie glaubt, dass Tobias ihr gehört. Sie begreift nicht, dass er niemandem außer sich selbst gehört.
Evelyn richtet sich auf und verschränkt die Arme vor der Brust.
» Das Wahrheitsserum hat gezeigt, dass du zwar ein Dummkopf, aber keine Verräterin bist. Die Anhörung ist hiermit beendet. Du kannst gehen. «
» Was ist mit meinen Freundinnen? « , frage ich mit schwerfälliger Zunge. » Christina, Cara. Auch sie haben nichts Falsches getan. «
» Wir werden uns bald mit ihnen befassen « , sagt Evelyn.
Ich stehe auf, obwohl ich mich schwach fühle und vom Serum benommen bin. Der Raum ist voller Menschen, die eng aneinandergedrängt stehen, und für ein paar lange Sekunden kann ich den Ausgang nicht sehen, bis jemand neben mich tritt und meinen Arm packt – ein Junge mit warmer brauner Haut und einem breiten Grinsen. Es ist Uriah. Er führt mich zur Tür, während um uns herum alle gleichzeitig zu reden beginnen.
Uriah lotst mich durch den Gang und zu den Fahrstühlen. Die Aufzugtür gleitet zur Seite, als er den Knopf drückt, und ich folge ihm immer noch leicht wacklig. » Glaubst du, das mit dem Trümmerhaufen und dem Thron war zu dick aufgetragen? « , frage ich, während sich die Tür hinter uns schließt.
» Nein. Sie rechnet damit, dass du unbeherrscht bist. Hättest du dich zurückgehalten, hätte sie womöglich Verdacht geschöpft. «
In mir vibriert alles in Erwartung dessen, was vor mir liegt. Ich bin frei. Wir werden einen Weg aus der Stadt heraus finden. Das Warten hat ein Ende. Ich brauche nicht mehr in meiner Zelle auf und ab zu laufen, brauche den Wachen keine Fragen mehr stellen, auf die ich ohnehin keine Antwort bekomme.
Erst heute Morgen haben unsere Bewacher ein paar Dinge über das neue fraktionslose System durchblicken lassen. Die ehemaligen Fraktionsmitglieder sollen in die Nähe des Ken-Hauptquartiers ziehen und sich mischen – pro Haus sind nicht mehr als vier Mitglieder derselben Fraktion erlaubt. Außerdem müssen wir gemischte Kleidung tragen. Diese spezielle Anordnung habe ich schon am eigenen Leib zu spüren bekommen, als man mir ein gelbes Amite-Shirt und schwarze Candor-Hosen zuteilte.
» Okay, wir müssen da lang. « Uriah bugsiert mich aus dem Aufzug. In dieser Etage des Quartiers der Ken bestehen selbst die Wände aus Glas. Das Sonnenlicht bricht sich in den Scheiben und wirft Regenbogenstreifen auf den Boden. Ich schirme meine Augen mit einer Hand ab und folge Uriah in einen langen, schmalen Raum. Zu beiden Seiten reihen sich Betten entlang den Wänden und an jedem Schlafplatz steht ein Glasschrank für
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