Die Bibel
Wieder bei Adam und Eva anfangen
Vor ungefähr viertausend Jahren hatte Gott es wieder einmal satt, sich über die Menschen zu ärgern. Diesmal aber wollte er sie nicht durch eine neuerliche Sintflut ausrotten, sondern ein anderes Experiment wagen: Er guckte sich einen einzelnen Menschen aus, Abraham, und plante, aus dessen Kindern und Kindeskindern – Isaak und Jakob – ein Volk heranwachsen zu lassen, Gottes Volk. Es sollte aller Welt zeigen, wie er sich das Zusammenleben der Menschen auf diesem Planeten vorstellt. Die ewig ungelösten Probleme der Menschen sollten eine Lösung finden, ihr falscher Gebrauch der Freiheit ein Ende haben.
Aber Abraham, war das nicht dieser sklavisch gehorsame Mensch, der auf «Befehl von oben» beinahe seinen eigenen Sohn, Isaak, geschlachtet hätte? In ihm sollen wir einen Problemlöser erkennen? Jakob war ein kleiner Gauner, der seinen Bruder ums Erstgeburtsrecht gebracht hat. Was könnte die Menschheit von so einem lernen? Oder Petrus, der «Fels», auf dem Jesus seine Kirche bauen wollte – in der Nacht seiner Gefangennahme war er windelweich und hatte Jesus verraten, noch ehe der Hahn krähte.
Merkwürdig und fremd, nicht selten erschreckend, muten uns viele Geschichten der Bibel an. Dass sie trotzdem, oder gerade deshalb, den Menschen des 21. Jahrhunderts noch viel zu sagen haben, soll in diesem Buch bewiesen werden.
Die Bibel sei «Gottes Brief an jeden Menschen», hat der Theologe Philipp Jakob Spener geschrieben. Er teilt mit, was Menschen tun müssen, damit ihr Leben gelingt. Aber dieser Brief ist vermittelt durch das Wort von Menschen, die vor zweitausend Jahren und noch längerer Zeit gelebt haben – für Menschen von heute nur schwer verständlich. Darum soll dieses Buch als Übersetzungshilfedienen. Es ist der Versuch, den roten Faden freizulegen, der sich durch diese alten Geschichten zieht.
Damals, als sich Gott ein Volk erfand, gab er ihm auf dem Berg Sinai sein Gesetz, die Sozialordnung Gottes. Aus ihr wuchs eine neue Kultur, unsere Kultur. Die europäischen Standards und Werte – das, was heute «westliche Wertegemeinschaft» genannt wird – haben dort, am Sinai, ihre älteste Wurzel.
Davon erzählt das Alte Testament. Die Christen teilen es mit den Juden. Das letzte Viertel der Bibel, das Neue Testament, erzählt von Jesus. Sein Gott war der Gott der Juden und ist später zum Gott der Christen geworden. Darum bedeutet das Neue keine Aufhebung des Alten Testaments, sondern dessen Fortsetzung. Darum gehört beides zusammen.
Die Bibel ist «das Buch, ohne das man nichts versteht» . (Jan Roß). Über ein Jahrtausend lang war sie der grundlegende Text des christlichen Abendlandes. Ohne ihre Kenntnis ist nicht zu begreifen, wie Europa wurde, was es ist. Auch die großen Schöpfungen der europäischen Literatur, Musik und Malerei erschließen sich kaum, wenn man nichts von der Bibel weiß.
Sie enthält Antworten auf die ewigen Fragen: Worin besteht der Sinn meines Lebens? Der Sinn dieser Welt? Was sollen wir tun? Warum müssen Menschen leiden? Was kommt nach dem Tod? Wer die Antworten sucht, wird nicht selten erschrecken über den radikalen Unbedingtheitsanspruch, den der Gott der Bibel an seine Gläubigen stellt, und staunen über noch nie gehörte oder längst vergessene Geschichten.
Man kann diese Geschichten für reine Fiktion halten, also für bloße Literatur aus versunkener Zeit. Kennen sollte man sie trotzdem, denn selbst wenn es bloße Literatur wäre, handelte es sich immerhin um Weltliteratur. Um weltverändernde Literatur.
Die Kraft zur Weltveränderung steckt noch immer in diesem Buch. Viertausend Jahre nach Abraham ist diese Geschichte noch nicht zu Ende. Es könnte sich erweisen, dass der SchriftstellerFranz Werfel Recht hat, der im letzten Jahrhundert die Ereignisse vom Sinai als «das allergrößte Ereignis der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte» bezeichnete und erklärte: «Diese Geschichte steckt doch noch in den Kinderschuhen.»
Noch radikaler drückt es der englische Dichter Gilbert K. Chesterton aus: «Sie sagen, dass das Christentum versagt hat. Ich sage, dass es noch gar nicht versucht worden ist.» Um es wirklich ernsthaft zu versuchen, um noch einmal mit Adam und Eva anzufangen, bedürfte es der Kraft, die in der Bibel steckt. Aber dieses Kraftwerk ist über die Jahrtausende tief verschüttet worden. Der Schatz müsste erst gehoben werden.
Dieses Buch ist ein Versuch, sich auf die Schatzsuche zu begeben und die
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