Die bitter sueße Fortsetzung
die restlichen Obstkisten auf der Arbeitsplatte abstellt, dreht sie sich um und mustert mich ungläubig von oben bis unten. Die kleine, dralle Frau stellt sich als Maria Martinelli vor, die Mutter der beiden Großmarkt Brüder. Aus ihrer dunklen Lockenpracht fällt eine silbergraue Haarsträhne über ihr ungeschminktes Gesicht, die sie mit einer schnellen Handbewegung wieder an ihren alten Platz streicht. Mit einer abfälligen Miene ergreift sie das Wort.
»Sie haben Ihre besten Tage aber auch schon hinter sich! Wie alt sind Sie?« ruft sie mit offenem Entsetzen aus. »Mitte, Ende vierzig, oder?« Obwohl ich mich über Mitte vierzig freue, will ich trotzdem von ihr wissen, weshalb mein Alter überhaupt von Interesse ist. »Können Sie überhaupt noch Kinder kriegen oder sind Sie schon jenseits von...« Nun reicht es mir aber und ich fauche Mama Leone an, was Sie sich denn einbildet, mir solche Fragen zu stellen.
»Na, ich werde mir wohl die Auserwählte meines ältesten Sohnes einmal genauer ansehen dürfen?« Bitte?
»Ich wurde bereits auserwählt und stehe nicht mehr zur Disposition, Frau Martinelli. Und ganz bestimmt nicht für Ihren Maurizio!« Sichtlich erleichtert nimmt sie meine Antwort zur Kenntnis und setzt sich auf den hohen Hocker vor meinem Arbeitstisch. Ihr Blick wandert durch die Küche, vorbei an den Geräten und hinüber zu den prall gefüllten Regalen aus Edelstahl. Sie nimmt ein kleines Paket aus ihrer Handtasche, wickelt ein großes Stück Käse aus und knüllt das weiße Papier in ihrer Hand zusammen. Danach stellt sie ein Glas mit violett brauner Konfitüre auf den Tisch und wirft mir einen auffordernden Blick zu.
»Nun machen Sie schon, Carlotta. Oder trauen Sie sich nicht? Ich bin extra gekommen, um Ihre Dolcezza di Cipolla Rossa zu probieren.« Auf der einen Seite bin ich verblüfft darüber, wie sich diese völlig fremde Frau in meiner Küche aufführt, andererseits amüsiert mich ihre forsche Vorgehensweise und ich komme ihrer Bitte nach. Sie prüft zuerst Farbe, Geruch und Konsistenz, bevor sie mit dem Messer eine Spitze aus dem Glas entnimmt und vorsichtig ein Stück Käse damit bestreicht. Einen langen Moment lang macht sie ein nachdenkliches Gesicht und schaut wenig später anerkennend zu mir rüber.
»Nicht schlecht. Zwar völlig anders als meine Rezeptur, aber nicht schlecht. Sag an, was hast du alles drin?«, fordert sie mich auf und wir sind auf einen Schlag per Du.
»Zwiebeln, Knoblauch, Olivenöl, Rotwein, Portwein, Meersalz, Honig und Thymian.«
»Ich süße mit braunem Zucker und statt Portwein kommt bei mir nur der echte Aceto Balsamico Tradizionale di Modena hinein.« Wir fachsimpeln noch eine ganze Weile und ich lobe ihre Kreation in höchsten Tönen, als sie anfängt über Privates zu sprechen. Die Martinellis haben sich schon Anfang der achtziger Jahre auf den Anbau von Bio Obst und Gemüse spezialisiert. Ein Teil der Großfamilie bewirtschaftet die Ländereien in Kalabrien, der andere Teil hat sich aufgemacht, um in Deutschland die Waren auf Großmärkten zu verkaufen. Sie und ihren Mann Alfredo hat es nach Hamburg verschlagen. Ihren Ruhestand wollen die beiden in ihrer alten Heimat verbringen. Aber bis es soweit ist, muss sie Maurizio und Sergio erst unter die Haube bringen. Maria meint, es wird höchste Zeit. Mit fast vierzig sollten sie endlich eine Familie gründen.
»Schade, Carlotta. Du bist eine nette und patente Frau, aber als Schwiegertochter bist du mir eindeutig zu alt. Ich brauche Enkelkinder. Dringend. Noch bevor bei meinen Söhnen der Lack ab ist. Also Hände weg von den Martinelli Brüdern.«
»Sei ganz beruhigt, Maria. Von mir geht keine Gefahr aus.« Sie lächelt und überreicht mir die Rechnung.
»Also bis morgen. So gegen zehn?«
»Wie bis morgen?«
»Na, dann komme ich wieder und dann verarbeiten wir gemeinsam die Feigen. Sie sind noch zu fest, um sie heute zu verkochen.« Sprachlos mit halb geöffnetem Mund sehe ich sie abfahren. Ich selber bin ja auch nicht gerade zimperlich, aber so viel Unverfrorenheit ist mir selten unter gekommen.
Sunny
Die Maschine aus München landet planmäßig und ich stehe vor dem Ausgang und warte auf Martin. Er weiß nicht, dass ich gekommen bin, um ihn abzuholen. Aber ich finde, die beiden Seiberts haben genug Zeit miteinander verbracht. Ich bin aufgeregt und will ihm erzählen, dass ich eine neue Küchenhilfe habe. Einen temperamentvollen,
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