Die bitter sueße Fortsetzung
hätte ich mir besser verkneifen sollen.
»Du tickst so völlig anders als sie. Dir ist Familie und Freundschaft wichtig. Für sie zählt nur Umsatz, Umsatz und noch mal Umsatz.« Ich will nicht mit ihr über die Zicke sprechen und wechsel das Thema. Gemeinsam erstellen wir am PC Beurteilungsbogen. Meine Testesser sollen die einzelnen Senfsorten mit Punkten von eins bis sechs bewerten. Die Martinellis haben ihr Kommen auch zugesagt. Mit Anja, Gerald und den Töchtern erwarte ich vierzehn Gäste. Die Küche wird voll und ich freue mich schon sehr auf den Schlemmerabend.
Die Italo Fraktion erscheint pünktlich. Ich empfange meine ersten Besucher und schenke einen Aperetif aus. Erst beim Zuprosten bemerke ich, wie verändert die Brüder aussehen. Ohne ihre grüne Kittelschürze wirken sie ganz anders auf mich. Attraktiv! Äußerst attraktiv! Maurizios Augen funkeln und sein kurzärmeliges Hemd bietet freien Blick auf seine muskulösen, sonnengebräunten Oberarme. Er duftet aufregend nach einem mir unbekannten After Shave, obwohl er nicht glatt rasiert ist, sondern einen sexy Dreitagebart trägt.
Schnell weggucken, sonst gibt es Ärger mit »La Mamma!« Aber Maria ist anderweitig beschäftigt. Sie inspiziert die Backöfen und bestaunt kaltes und warmes Fleisch von Lamm, Rind, Schwein, Wild und Geflügel, das ich in stundenlanger Arbeit vorbereitet habe.
»Fisch und Meeresfrüchte werde ich frisch zubereiten, wenn alle eingetroffen sind«, sage ich zu ihr. Sie wirft noch einen Blick auf meine Käseauswahl und fragt mich, wie viele Gäste ich denn erwarte.
»Na, Mädchen, verhungern wird bei dir heute bestimmt niemand«, lacht sie und ich freue mich über das »Mädchen« aus ihrem Mund.
Statt Blumen schenkt mir die Bienenkönigen einen Behandlungsgutschein für das SPA, in dem sie seit kurzem arbeitet. Meine SP Freunde nebst Anhang haben reichlich Appetit mitgebracht und warten ungeduldig auf mein Startzeichen.
»Auf Martin zu warten, macht wenig Sinn«, stelle ich aus Erfahrung fest und beginne mit der ersten Runde. Mediterrane Kompositionen. Dazu läuft eine CD mit Italo Pop. Die Urteile über meine Senfsorten sind vielschichtig und meine Gäste tragen ihre Noten auf die vorbereiteten Zettel ein.
»Dieser Senf eignet sich ausgezeichnet zum Marinieren von dunklem Fleisch«, sagt Maria und ich füge an, dass ich das Lamm damit zubereitet habe. Anja verfolgt unsere gemeinsamen Vorträge mit langgezogener Miene. Es ist offensichtlich, dass es ihr nicht behagt, dass Mamma Martinelli so schnell ihren Platz eingenommen hat. Nach drei Stunden Schlemmermarathon geht es nicht mehr um das Thema Senf. Anja und Gerald erzählen von ihren Flitterwochen und zeigen Urlaubfotos vom Strand und der bunten Unterwasserwelt. Beim Anblick von Sonne, Strand und Meer entweicht mir ein leises Stöhnen. Ja, Urlaub wäre jetzt auch nicht schlecht, denke ich und mein Tischnachbar scheint zu ahnen, was mir durch den Kopf geht.
»Bist du eher der Typ Berge oder doch der Typ Meer?«, will Maurizio von mir wissen. »Eindeutig Meer. Allerdings bin ich kein Fan von Fernreisen. Ich fliege nicht gern und ziehe Orte am Mittelmeer vor, die ich mit dem Wagen erreichen kann.« Er zieht mich zur Seite und zeigt mir Bilder auf seinem Handy. »Kein Wort zu Maria«, flüstert er mir zu und erklärt, dass es sich bei dem baufälligen Haus auf den Fotos, um ein heruntergekommenes Landgut in Cantanzaro handelt. Auf einem rund 20.000 qm großen Anwesen wachsen Mandarinen, Orangen, Aprikosen usw. Die Plantagen sind gut in Schuss, aber das Haus ist eine Bruchbude.
»Die Lage ist sensationell. Nur einen Kilometer vom langen Sandstrand entfernt und der Flughafen Lamezia Terme ist auch ganz nah.
»Und?«, will ich wissen. Er grient über das ganze Gesicht und haucht mir ins Ohr »Vielleicht werde ich es kaufen.« Zum wiederholten Mal sagt er »PREGO«, »BELISSIMA«, »RAGAZZA« und schenkt mir nach. Ich glaube, er flirtet mit mir und ich erhalte die Bestätigung sogleich von O.J., der mich im Flur darauf anspricht. »Na, Ramazzotti hat es wohl auf dich abgesehen.« Warum auch nicht?, denke ich und schaue mal wieder verärgert auf die Uhr. Martin ist immer noch nicht da. Es ist Samstagabend und im Fernsehen läuft vermutlich gerade das Wort zum Sonntag. Auf meine persönliche Predigt kann er sich schon freuen, wenn er nicht gleich erscheint. Aber ich beschließe, mir meine gute Laune nicht vermiesen zu lassen.
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