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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Sandsäcke aus dem Keller hinter die Fensterfront der Schalterhalle zu befördern. Diese Sandsäcke und ähnlichen Unsinn stapelte man vor den Fenstern, schob schwere Möbel wie Aktenschränke in die Nähe des Hauptportals, um das Tor in seiner ganzen Breite notfalls schnell verbarrikadieren zu können.
    Jemand wollte wissen, wer ich sei, hatte dann aber keine Zeit, auf Jans Antwort warten zu können. Die Leute waren nervös, redeten bald laut, bald übervorsichtig leise. Meine Trommel und die Not meiner Trommel schien vergessen zu sein. Der Hausmeister Kobyella, auf den ich gesetzt hatte, der jenem Haufen Schrott vor meinem Bauch wieder zu Ansehen verhelfen sollte, blieb unsichtbar und stapelte wahrscheinlich in der ersten oder zweiten Etage des Postgebäudes, ähnlich fieberhaft wie die Briefträger und Schalterbeamten in der Halle, pralle Sandsäcke, die kugelsicher sein sollten. Oskars Anwesenheit war Jan Bronski peinlich. So verdrückte ich mich augenblicklich, als Jan von einem Mann, den die anderen Doktor Michon nannten, Instruktionen erhielt. Nach einigem Suchen und vorsichtigem Umgehen jenes Herrn Michon, der einen polnischen Stahlhelm trug und offensichtlich der Direktor der Post war, fand ich die Treppe zum ersten Stockwerk und dort, ziemlich am Ende des Ganges, einen mittelgroßen, fensterlosen Raum, in dem sich keine Munitionskisten schleppende Männer befanden, keine Sandsäcke stapelten.
    Rollbare Wäschekörbe voller buntfrankierter Briefe standen dichtgedrängt auf den Dielen. Das Zimmer war niedrig, die Tapete ockerfarben. Leicht roch es nach Gummi. Eine Glühbirne brannte ungeschützt. Oskar war zu müde, den Lichtschalter zu suchen. Ganz fern mahnten die Glocken von Sankt Marien, Sankt Katharinen, Sankt Johann, Sankt Brigitten, Sankt Barbara, Trinitatis und Heiliger Leichnam: Es ist neun Uhr, Oskar, du mußt schlafen gehen! — Und so legte ich mich in einen der Briefkörbe, bettete die gleichfalls erschöpfte Trommel an meiner Seite und schlief ein.

DIE POLNISCHE POST
    Ich schlief in einem Wäschekorb voller Briefe, die nach Lodz, Lublin, Lwów, Toru , Krakow und Cz stochowa hinwollten, die von Lodz, Lublin, Lemberg, Thorn, Krakau und Tschenstochau herkamen. Ich träumte aber weder von der Matka Boska Cz stochowska noch von der schwarzen Madonna, knabberte weder träumend an Marsza ek Pilsudskis in Krakau aufbewahrtem Herzen noch an jenen Lebkuchen, die die Stadt Thorn so berühmt gemacht haben. Nicht einmal von meiner immer noch nicht reparierten Trommel träumte ich. Traumlos auf Briefen in rollbarem Wäschekorb liegend, vernahm Oskar nichts von jenem Wispern, Zischeln, Plaudern, von jenen Indiskretionen, die angeblich laut werden sollen, wenn viele Briefe auf einem Haufen liegen. Mir sagten die Briefe kein Wörtchen, ich hatte keine Post zu erwarten, niemand durfte in mir einen Empfänger oder gar Absender sehen.
    Selbstherrlich schlief ich mit eingezogener Antenne auf einem Berg Post, der nachrichtenträchtig die Welt hätte bedeuten können.
    So weckte mich verständlicherweise nicht jener Brief, den irgendein Pan Lech Milewczyk aus Warschau seiner Nichte in Danzig-Schidlitz schrieb, ein Brief also, alarmierend genug, um eine tausendjährige Schildkröte wecken zu können; mich weckte entweder nahes Maschinengewehrfeuer oder die fernen, nachgrollenden Salven aus den Doppeltürmen der Linienschiffe im Freihafen.
    Das schreibt sich so leicht hin: Maschinengewehre, Doppeltürme. Hätte es nicht auch ein Platzregen, Hagelschauer, der Aufmarsch eines spätsommerlichen Gewitters, ähnlich jenem Gewitter anläßlich meiner Geburt, sein können? Ich war zu verschlafen, derlei Spekulationen nicht mächtig und folgerte, noch die Geräusche im Ohr bewahrend, treffend und wie alle Verschlafenen die Situation direkt beim Namen nennend: Jetzt schießen sie!
    Kaum aus dem Wäschekorb geklettert, noch unsicher in den Sandalen stehend, besorgte Oskar sich um das Wohl seiner empfindlichen Trommel. Mit beiden Händen grub er jenem Korb, der seinen Schlaf beherbergt hatte, ein Loch in den zwar locker, aber verschachtelt geschichteten Briefen, ging jedoch nicht brutal vor, indem er zerriß, knickte und gar entwertete; nein, vorsichtig löste ich die miteinander verfilzte Post, trug jedem der zumeist violetten, mit dem»Poczta Polska« Stempel bedachten Briefe, sogar Postkarten Sorge, gab acht, daß sich kein Kuvert öffnete; denn selbst angesichts unabwendbarer, alles ändernder Ereignisse sollte das

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