Die Blechtrommel
geschliffene Ziegelscherben übers grünliche Wasser hüpfen und zeigte Ehrgeiz dabei. Jan Bronski, weniger geschickt, suchte zwischen den Wurfversuchen nach Bernstein, fand auch einige Sputter und ein Stück von der Größe eines Kirschkernes, das er Mama schenkte, die gleich mir barfuß lief, sich immer wieder umblickte und wie in ihre Spuren verliebt zeigte. Die Sonne schien vorsichtig. Es war kühl, windstill, klar; man konnte den Streifen am Horizont erkennen, der die Halbinsel Heia bedeutete, auch zwei drei schwindende Rauchfahnen und die sprunghaft über die Kimm kletternden Aufbauten eines Handelsschiffes.Nacheinander und in unterschiedlichen Abständen erreichten wir die ersten Granitbrocken der breiten Molenwurzel. Mama und ich zogen wieder Strümpfe und Schuhe an. Sie half mir beim Schnüren, während Matzerath und Jan schon auf dem holperigen Scheitel der Mole von Stein zu Stein gegen die offene See hinhüpften. Klamme Tangbärte wuchsen unordentlich aus den Fugen des Fundamentes. Oskar hätte sie kämmen mögen. Aber Mama nahm mich bei der Hand, und wir folgten den Männern, die vor uns wie Schulbuben taten. Bei jedem Schritt schlug meine Trommel gegen mein Knie; ich wollte sie mir selbst hier nicht abnehmen lassen. Mama trug einen hellblauen Frühjahrsmantel mit himbeerfarbenen Aufschlägen. Die Granitbrocken bereiteten ihren Stöckelschuhen Mühe. Ich steckte wie an jedem Sonn-und Feiertag in meinem Matrosenmantel mit den goldenen Ankerknöpfen. Ein altes Mützenband aus Gretchen Schefflers Andenkensammlung mit der Aufschrift »SMS Seydlitz« faßte meine Matrosenmütze ein, hätte geflattert, wenn es windig gewesen wäre. Matzerath knöpfte seinen braunen Paletot auf. Jan, vornehm wie immer, im Ulster mit dem schimmernden Sammetkragen.
Wir sprangen bis zum Seezeichen am Ende der Mole. Unter dem Seezeichen saß ein älterer Mann mit Stauermütze und wattierter Jacke. Neben ihm lag ein Kartoffelsack, in dem es zuckte und unaufhörlich Bewegung zeigte. Der Mann, der wahrscheinlich in Brösen oder Neufahrwasser zu Hause war, hielt das Ende einer Wäscheleine. Mit Seegras verfilzt verschwand die Leine im brackigen Mottlauwasser, das in der Mündung noch ungeklärt und ohne Hilfe der offenen See gegen die Molensteine klatschte.
Wir wollten wissen, warum der Mann unter der Stauermütze mit einer ordinären Wäscheleine und offensichtlich ohne Schwimmer angelte. Mama fragte ihn gutmütig spöttelnd und sagte Onkel zu ihm.
Der Onkel grinste, zeigte uns tabakbraune Zahnstümpfe und spuckte, ohne sich weiter .zu erklären, langen, brockigen, sich in der Luft überschlagenden Saft in die Brühe zwischen den unteren, teerund ölüberzogenen Granitbuckeln. Dort schaukelte die Ausscheidung so lange, bis eine Möwe kam und sie ihm Flug, den Steinen geschickt ausweichend, mitnahm und andere, kreischende Möwen nach sich zog.
Schon wollten wir gehen, denn es war kühl auf der Mole, und die Sonne half nicht, da begann der Mann mit der Stauermütze das Seil Zug um Zug einzuholen. Mama wollte trotzdem gehen. Aber Matzerath war nicht vom Fleck zu bringen. Auch Jan, der sonst Mama keinen Wunsch abschlug, wollte sie diesmal nicht unterstützen. Oskar war es gleichgültig, ob wir blieben oder gingen. Doch weil wir blieben, schaute ich zu. Während der Stauer gleichmäßig greifend, mit jedem Griff das Seegras abstreifend, die Leine zwischen seinen Beinen sammelte, vergewisserte ich mich, daß der Handelsdampfer, der vor einer knappen halben Stunde kaum mit den Aufbauten über die Kimm gelangt hatte, nun, tief im Wasser liegend, den Kurs änderte und den Hafen anlief. Wenn er so tief liegt, wird es ein Schwede mit Erz sein, schätzte Oskar.
Ich ließ von dem Schweden ab, als der Stauer sich umständlich erhob. »Na nu mechten wä beßchen kieken, was is mit ihm.« Das sagte er zu Matzerath, der nichts verstand und dem Stauer dennoch beipflichtete. »Na nu mechten wä ...« und »Beßchen kieken ...« ständig wiederholend hievte der Stauer das Seil weiterhin, doch nun mit mehr Anstrengung, kletterte dem Seil entgegen die Steine hinunter und griff — Mama drehte sich nicht rechtzeitig genug weg — breitarmig griff er in die aufblubbernde Bucht zwischem dem Granit, suchte, faßte etwas, faßte nach, zog und schleuderte, laut Platz fordernd, etwas triefend Schweres, einen sprühend lebendigen Brocken zwischen uns: einen Pferdekopf, einen frischen, wie echten Pferdekopf, den Kopf eines schwarzen Pferdes, einen
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