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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Aufenthalt, weil die Gegenbahn schon da war. Kurz hinter dem Flugplatz begann Matzerath trotz meiner Trommelei über seinen enormen Hunger zu erzählen. Mama reagierte nicht und sah an uns allen vorbei, bis ihr Jan eine von seinen »Regatta« anbot. Als er ihr Feuer gab und sie sich das Goldmundstück zwischen die Lippen paßte, lächelte sie Matzerath an, weil sie wußte, daß der sie nicht gerne in der Öffentlichkeit rauchen sah.
    Am Max-Halbe-Platz stiegen wir aus, und Mama nahm trotzdem Matzeraths und nicht Jans Arm, wie ich es erwartet hatte. Jan ging neben mir, hielt mich bei der Hand und rauchte Mamas Zigarette zu Ende.
    Im Labesweg klopften die katholischen Hausfrauen noch immer ihre Teppiche. Während Matzerath die Wohnung aufschloß, sah ich Frau Kater, die im vierten Stockwerk neben dem Trompeter Meyn wohnte, auf der Treppe. Sie hielt mit blaurot mächtigen Armen einen zusammengerollten bräunlichen Teppich auf der rechten Schulter. In beiden Achselhöhlen flammten ihr blonde, vom Schweiß verknotete und versalzene Haare. Der Teppich knickte nach vorn und hinten. Sie hätte genau so gut einen betrunkenen Mann auf der Schulter tragen können; aber ihr Mann lebte nicht mehr. Als sie ihr Fett in einem schwarzglänzenden Taftrock vorbeitrug, traf mich ihr Ausdünstung: Salmiak, Gurke, Karbid — sie mußte ihre Tage haben.
    Bald darauf hörte ich vom Hof her jenes gleichmäßige Teppichklopfen, das mich durch die Wohnung trieb, das mir nachkam, dem ich endlich im Kleiderschrank unseres Schlafzimmers hockend entging, weil die dort hängenden Wintermäntel den ärgsten Teil jener vorösterlichen Geräusche abfingen.
    Doch war es nicht nur die teppichklopfende Frau Kater, die mich in den Kasten fliehen ließ. Mama, Jan und Matzerath hatten ihre Mäntel noch nicht abgelegt, da begann schon der Streit um das Karfreitagessen. Doch blieb es nicht bei den Aalen, auch ich mußte wieder einmal herhalten, mein berühmter Sturz von der Kellertreppe: »Du bist schuld, du hast schuld, ich mach jetzt die Aalsuppe, sei nicht so zimperlich, mach, was du willst, nur keine Aale, sind ja Konserven genug im Keller, hol Pfifferlinge hoch, aber mach die Falltür zu, daß nicht wieder sowas passiert, hör mit den ollen Kamellen auf, Aale gibt es, basta, mit Milch, Senf, Petersilie und Salzkartoffeln und ein Lorbeerblatt kommt dran und ne Nelke, nein, nun laß doch Alfred, wenn sie nicht will, misch du dich da nicht rein, ich kauf doch die Aale nicht umsonst, werden ja sauber ausgenommen und gewässert, nein, nein, das werden wir sehen, wenn die erst mal auf dem Tisch stehen, wolln wir mal sehen, wer ißt und wer nicht ißt.«
    Matzerath schlug die Wohnzimmertür zu, verschwand in der Küche, auffallend laut hörten wir ihn hantieren. Der tötete die Aale mit einem Kreuzschnitt hinter dem Kopf, und Mama, die eine allzu lebhafte Phantasie hatte, mußte sich auf die Chaiselongue setzen, was ihr Jan Bronski prompt nachmachte, und schon hatten sie sich bei den Händen und flüsterten auf kaschubisch.
    Als die drei Erwachsenen sich so in der Wohnung verteilt hatten, saß ich noch nicht im Schrank, sondern gleichfalls im Wohnzimmer. Es gab ein Kinderstühlchen neben dem Kachelofen. Dort baumelte ich mit den Beinen, ließ mich von Jan fixieren und spürte genau, wie ich den beiden im Wege war, obgleich sie ja doch nicht viel machen konnten, weil Matzerath hinter der Wohnzimmerwand zwar unsichtbar, aber dennoch deutlich mit halbtoten Aalen drohte, die er wie eine Peitsche schwang. So tauschten sie ihre Hände, drückten und zogen an zwanzig Fingern, ließen die Gelenke knacken und gaben mir mit diesen Geräuschen den Rest. War das Teppichklopfen der Katerschen vom Hof her nicht genug? Drang es nicht durch alle Wände, rückte näher, obgleich es an Lautstärke nicht zunahm?
    Oskar rutschte von seinem Sttih-lchen, hockte sich, um den Abgang nicht allzu augenfällig zu gestalten, einen Moment neben den Kachelofen, rutschte dann, ganz und gar mit seiner Trommel beschäftigt, über die Türschwelle ins Schlafzimmer.
    Um jedes Geräusch zu vermeiden, ließ ich die Schlafzimmertür halb offen und stellte mit Genugtuung fest, daß mich niemand zurückrief. Noch überlegte ich, ob Oskar unters Bett oder in den Kleiderschrank sollte. Ich zog den Schrank vor, weil ich unter dem Bett meinen heiklen marineblauen Matrosenanzug beschmutzt hätte. Den Schrankschlüssel konnte ich gerade erreichen, drehte ihn einmal, zog die Spiegeltüren auseinander und

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