Die blonde Witwe
Zentimeter weit vor; sein dunkler Anzug war nach der neuesten Herrenmode gearbeitet. Einige der Mädchen vom Nebentisch schauten schon zu uns herüber.
Ich wählte Linsensuppe mit Speck.
»Bekomme ich auch ein Bier spendiert?«
»Zwei, wenn Sie wollen.« Er bestellte die besonders empfohlenen Kartoffelpuffer und dazu Rotwein. »Sie brauchen also Geld? Und Sie sind tatsächlich Zeitungsmann?«
»Beides stimmt.«
Er musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.
»Ihr Zeitungsleute könnt den Mund nicht halten.«
»Für dreitausend kann ich das.«
»Vielleicht.«
Der schmale Kellner brachte Bier und Wein. Wir tranken, und der Mann sagte: »Selbstmord ist nicht strafbar. Ist Ihnen das bekannt?«
»Ja, das weiß ich.«
»Daher ist Beihilfe zum Selbstmord ebenfalls nicht strafbar.«
»Nein, ist es nicht.«
Wir schwiegen, weil der Kellner die Linsensuppe brachte. Ich begann zu essen; ich hatte mächtigen Hunger.
»Weiter«, sagte ich. »Jetzt wird es interessant.«
Er beugte sich ein wenig zu mir herüber und sagte halblaut: »Wären Sie bereit, mich für dreitausend Mark zu erschießen?«
Ich war einem Wahnsinnigen in die Hände gefallen. Davon war ich in diesem Augenblick fest überzeugt.
Ich schaute ihn an. Seine Augen waren kalt und klar.
»So«, sagte ich endlich. »Ich soll Sie erschießen? Sonst haben Sie keine Wünsche?«
»Nein, keine. Übrigens bin ich völlig normal und klar bei Verstand. Vielleicht können Sie sich denken, daß ich einen ganz bestimmten Grund habe, das von Ihnen zu verlangen. Wie alt sind Sie eigentlich?«
Ich merkte, worauf er hinauswollte.
»Ich war nicht mehr im Krieg, wenn Sie das meinen sollten. Ich habe in meinem Leben noch nie auf einen Menschen geschossen. Ich bin neunundzwanzig.«
Da war wieder dieses Lächeln, verbindlich wie das Lächeln eines Managers, und doch ohne jegliche Verpflichtung.
»Also gut, ich verstehe, daß mein Wunsch etwas ungewöhnlich klingt. Im ersten Augenblick jedenfalls. Aber ich hoffe doch, daß Sie soviel Menschenkenntnis haben, um mich nicht für einen Dummkopf zu halten.«
»Nein«, sagte ich, »das habe ich bis jetzt nicht getan.«
Seine Kartoffelpuffer kamen, frisch, duftend und knusprig. Und während er in aller Ruhe aß, entwickelte er mir seinen Plan.
Ich beobachtete ihn beim Essen aus den Augenwinkeln. Wenn er zwischen fünfzig und sechzig war, konnte er noch in einer Kadettenanstalt erzogen worden sein. Er aß bedächtig; seine Backenmuskeln zeichneten sich deutlich unter der dünnen Lederhaut ab. Er sprach nie mit vollem Mund. Auch benützte er zum Zerteilen seiner Kartoffelpuffer nicht das Messer.
»Abitur?« fragte er.
»Ja.«
»Und dann gleich Journalist geworden?«
»Ja«, sagte ich. Er brauchte nicht zu wissen, daß ich einmal Privatdetektiv war. In Deutschland sind Privatdetektive kleine Würstchen, arme Eckensteher und Schnüffler. Jeder Landgendarm, der nicht viel mehr als seinen Namen schreiben kann, wirft ihn hinaus. »Ja, ich wurde gleich Journalist. Zuerst war ich angestellt, dann selbständig. Es geht nicht immer so, wie ich es erhofft hatte.«
Er nahm den letzten der drei Kartoffelpuffer in Angriff.
»Schön«, sagte er. »Ich glaube, das genügt mir. Und ich glaube, daß ich Ihnen jetzt eine Erklärung schuldig bin. Ich bin nach dem Krieg ins Hotelfach eingestiegen. Vorher war ich...«
»Offizier?«
Er runzelte die Stirn.
»Ja. Ich wünsche nicht unterbrochen zu werden, und daß Sie nicht auf den Kopf gefallen sind, weiß ich bereits. Weiter: Ich habe Bürgschaften übernommen, einiges andere noch dazu. Kurz und gut, ich bin ruiniert. Mein Hotel steht vor dem Bankrott. Es ist ein großes, sehr bekanntes Hotel. Eigentlich gehört es meiner Frau. Sie hat es mit in die Ehe gebracht.«
Ich blickte auf den breiten Goldring an seiner linken Hand. Diese Art war nach dem Krieg modern geworden. Dann sagte ich: »Demnach haben Sie erst nach dem Krieg geheiratet?«
»Ja. Vor acht Jahren. Ich habe nicht wegen des Hotels geheiratet, sondern weil ich meine Frau liebte. Sie ist wesentlich jünger als ich. Und sie hat mir immer bedingungsloses Vertrauen geschenkt. Sie würde im Falle eines Konkurses ihr ganzes Vermögen durch meine Schuld verlieren.«
»Und deshalb wollen Sie sich umbringen?« Ich fand diesen Gedankengang fast typisch für einen Offizier. Pech gehabt, Kugel in den Kopf, aus. Aber warum tat er es dann nicht selber? Ich fuhr fort: »Sind Sie der Ansicht, daß es Ihrer Frau mehr Spaß macht, zum
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