Tier zuliebe
Vorwort
Ständig soll ich ein schlechtes Gewissen haben! Mein CO 2 -Fußabdruck sei enorm groß, höre ich immer wieder. Nicht nur meiner, sondern der eines jeden in der westlichen Welt. Weil wir zu viel Auto fahren, zu viel Energie verbrauchen, auf zu großer Fläche wohnen, zu oft in den Urlaub fliegen, zu oft duschen, zu heiß duschen, zu viel essen, zu viel Essen wegschmeißen – weil wir sind. Ich wohne auf einem »Berg« und ich brauche mein Auto. Zugegeben: Ich fahre auch grundsätzlich lieber Auto, als öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Und ich lebe auf einer relativ großen Fläche. Sind deswegen andere besser als ich? Im ökologischen Sinne vermutlich ja. Der eine oder andere jedenfalls …
Zwar glaube ich nicht, dass jemand seine 100-Quadratmeter-Wohnung aufgibt, um in eine 30-Quadratmeter-Wohnung zu ziehen, nur um seine persönliche CO 2 -Bilanz zu verbessern, aber vielleicht läuft er häufiger mal in die Stadt als ich. Vielleicht duscht er kürzer? Das schlechte Gewissen ist bestimmt – zumindest manchmal – angebracht. Was könnte ich also tun, um all jenen etwas entgegenzusetzen, die mit dem erhobenen Zeigefinger vor meiner Nase rumfuchteln? Kein Fleisch mehr essen, das wäre doch was. Das tut am wenigsten weh – dachte ich mir im Frühjahr 2010 und spielte mit dem Gedanken, das Fleischessen auf Zeit mal einzustellen. Mein persönlicher CO 2 -Fußabdruck würde sich dadurch enorm verringern, denn immerhin verursacht weltweit die industrielle Tierzucht mehr schädliche Treibhausgase als der gesamte Verkehr.
Das waren sie also, meine ersten Überlegungen, einige Wochen bevor ich auf vegetarische Kostprobe ging. Doch je mehr ich mich mit der Materie beschäftigte, desto wichtiger wurde mir eine andere Sache: das Leid, das wir Tieren zumuten für ein bisschen Genuss. Steht das im Verhältnis? Wer gibt dem Menschen das Recht, sich so selbstverständlich anderer Lebewesen zu bedienen? Wir brauchen kein Fleisch zum Überleben – wir sind keine Inuit, die auf Robbenfleisch angewiesen sind, weil sich auf Eis schlecht Getreide anbauen lässt. Wir essen trotzdem Fleisch – viel und billiges Fleisch. Und behelfen uns dazu einer typisch menschlichen Eigenschaft: dem Verdrängen, das auch ich gut beherrschte.
Für meine »Kostprobe« wollte ich den Schalter im Kopf umlegen und sehen, was passiert, wenn ich mit offenen Augen durch die Welt gehe, wenn ich die unbequemen Gedanken an das gequälte Dasein unserer Mitgeschöpfe zulasse, wenn ich mich ernsthaft mit ihnen auseinandersetze. Und ich wollte auf Entdeckungstour gehen. Ich wollte sehen, ob man auch als genussfreudiger Mensch, für den ich mich halte, Alternativen zum Fleisch findet, die den Gaumen und die Sinne befriedigen, denn schließlich schmeckt mir Fleisch.
Im Laufe meines Experiments setzte dann ein nie dagewesener Boom ein: Zeitungen und Zeitschriften entdeckten das Thema Vegetarismus. Die Artikel schossen wie Pilze aus dem Boden. Bücher erschienen, darunter zwei Bestseller, in Talkshows wurde diskutiert. Und je größer das Thema in den Medien gehandelt wurde, desto vielschichtiger wurden die Aspekte, die zutage traten. So wurde mir im Zuge meiner Recherchen klar, dass ich konsequenterweise Veganerin werden müsste. Denn auch konventioneller Käse ist ein Klimakiller 1 und auch für Käse werden Tiere gequält – bei der Herstellung braucht man Lab aus den Mägen von Kälbern. Einblicke in die industrielle Milchproduktion lassen einen auch nicht besser schlafen. Wer ist schon dafür, dass Kühen sofort nach der Niederkunft ihre Kälber weggenommen werden, dass sie ihren Nachwuchs nicht einmal kurz beschnuppern und stillen dürfen …
Doch Veganismus wäre Stoff für ein weiteres Experiment, ein zweiter Schritt – irgendwann vielleicht. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden. Und wenn Sie Ihr Haus umweltgerecht sanieren, beginnen Sie vielleicht mal mit den Fenstern oder mit dem Dach … später dämmen Sie die Mauern. Ich wollte meinen Selbstversuch praxisnah gestalten. Ich wollte sehen, wo die Hürden und Stolpersteine sind in unserer auf Fleischkonsum ausgerichteten Gesellschaft, erleben, wie ich mich verändere und wie mein Umfeld auf mich reagiert. Ich wollte einfach mal aufhören, Fleisch zu essen. Tier zuliebe.
Birgit Klaus
Baden-Baden im April 2011
Prolog: Nie wieder grillen?
»Möchtest du mit uns grillen?«, fragt mich mein 19-jähriger Sohn Nicolas mit funkelndem Tatendrang in den Augen. Er hat ein paar Freunde
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