Die Blume der Diener
L e gends (Music Club 50074).)
Dann geschieht Folgendes: Delia belegt ein Schreibseminar bei Jane Yolen und verfasst danach eine Kurzgeschichte, die auf der Ballade basiert. Jane Yolen ist der Meinung, ich gäbe eine Balladen-Anthologie heraus (vermutlich weil ich einmal gesagt habe – und noch immer sage! –, dass ich das eines Tages tun möchte). Also nimmt Jane mich und Delia 1985 während einer Science Fiction-Tagung in Boston an der Hand und sagt: »Ellen! Hier ist jemand, den du kennen lernen solltest. Sie hat eine Geschichte für deine Anthologie!« Da ich nicht ungehobelt erscheinen will, verspreche ich der schüchternen jungen Frau, ihr Manuskript mit nach New York zu nehmen, aber ich warne sie: »Ich hasse es, Manuskripte zu lesen, und bei mir herrscht totale Unordnung. Wenn Sie also in sechs Monaten noch nichts von mir gehört haben, schreiben Sie mir eine Postkarte und erinnern Sie mich daran, dass es Sie gibt.« Sechs Monate später kommt diese Postkarte tatsächlich. Ich mache mich an die Arbeit und lese das Manuskript. Ich bin beeindruckt von Delias tiefem Verständnis des höfischen Lebens (in den meisten Fantasy-Romanen ist es eher eine Kreuzung zwischen dem Abschlussball und Sidney Sheldon) und der mittelalterlichen Gesellschaft. Auch steckt die Geschichte voller toller Magie. Ich schlage vor, dass die Autorin sie länger macht und ich sie danach einer jungen, aufgeweckten Fantasy-Herausgeberin namens Terri Windung schicke.
Terri kaufte The Famous Flower of Servingmen für ihre Ace Fantasy Specials-Serie und die Ace-Marketing-Nichtstuer brachten es fertig, dass Delia den Titel in Through a Brazen Mirror änderte. Ich kam rechtzeitig nach Boston, um Delias Verzweiflungsschreie mitzuerleben, weil der 1989er Umschlag des Buches eine mittelalterliche Zauberin zeigt, die auf ihren langen, spitzen Fingernägeln stolz etwas wie Revlons ›Feuer und Eis‹ zur Schau stellt.
Nicht lange zuvor hatte ich an Delias Roman ein Plagiat begangen. Na ja, nicht an ihrem Roman, sondern an der Originalballade: ›The Famous Flower of Servingmen‹ ist eine größere Nebenhandlung in meinem 1990 erschienen Roman Thomas the Rhymer. ›Thomas der Reimer‹ ist selbst eine traditionelle Ballade; beinahe alles in meinem Roman stammt aus britischer Folklore und britischen Balladen. Zu jener Zeit hatte ich vor, eine Reihe von Romanen zu schreiben, die alle auf Balladen basieren. Ich wollte nicht als Nebenhandlung eine Ballade nehmen, die ich später vielleicht zu einem Roman ausarbeiten konnte; also wählte ich eine, von der ich wusste, dass schon jemand anderes einen Roman darüber geschrieben hatte. (Ich bin auch das Gör, das den anderen immer die Halloween-Süßigkeiten klaut … ’tschuldigung!)
Delia war eine der Ersten, die Thomas the Rhymer gelesen hat. Ich machte mir Sorgen, wie sie auf meine kleine Nebenhandlung reagieren würde, aber das war unnötig. Mit für sie typischer Anmut und Großzügigkeit schrieb sie mir: »Ich fühle mich nicht im Mindesten auf die Füße getreten, auch wenn ich zugeben muss, dass ich ein komisches Gefühl bei der Lektüre dieses Teils hatte; es war, als hätte ich ein Haus betreten, das ich sehr gut kenne, und müsste feststellen, dass jemand es umdekoriert hat (aber natürlich äußerst geschmackvoll und schön).«
Liebe Leserin, lieber Leser, ich habe sie geheiratet (etwa sieben Jahre später, aber das ist eine andere Geschichte …).
Weitere Geheimnisse: Ihr voller Name lautet Cordelia, aber die anderen Kinder riefen sie immer ›Cordy‹; deswegen reagiert sie nicht mehr darauf. Sie ist viel dünner, als sie es von sich selbst glaubt. In Amsterdam reden die Leute sie oft auf der Straße auf Französisch an. Sie wäscht gern Wäsche, hasst es aber zu kochen. Sie liebt Gartenarbeit, pflanzt so einiges im Frühling, verliert dann das Interesse daran und macht sich nicht die Mühe, im Herbst zu ernten. Sie hat die lateinischen Namen von mehr Pflanzen vergessen, als ich je gekannt habe, und kann viele Arten von Blattkrankheiten erkennen. Sie hat ihren Doktor auf dem Gebiet der Renaissance-Studien gemacht, aber nur eine senile Tante nennt sie ›Dr. Sherman‹.
Neulich sagte sie zu mir: »Das Nette am Studium der Geschichte ist, dass man immer auf Leute trifft, die noch viel seltsamer sind als man selbst.«
ELLEN KUSHNER
Ellen Kushner ist die Autorin des Homo-Klassikers Swordspoint, a Melodrama of Manners, und des Romans Thomas the Rhymer, der den World Fantasy Award gewonnen
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