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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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trank, schwoll die Geschäftigkeit in der Küche des Königs zu wahrer Raserei an. Unterköche belegten vorsichtig große Servierplatten mit Speisen und Girlanden und gaben sie den Marschallen, die sie nach oben zum Begutachtungstisch brachten, von wo aus Pagen und Gardisten alles in stolzer Prozession durch die große Halle trugen; Braten und Entremets , die raffiniertesten Speisenbilder und Puddings, Pasteten und Farcis erstiegen die Stufen und Gang für Gang nahmen die Reste denselben Weg wieder hinunter. Nun hatten die Köche und Unterköche Zeit, ihre ausdünstenden Schürzen abzulegen und sich zu ihrem eigenen Essen niederzusetzen, doch die Küchenjungen tauschten bloß ihre Schälmesser, Mörserkeulen und Bratspießgriffe gegen eine Reihe hölzerner Waschzuber und Türme fettiger Töpfe und Tabletts ein. Sie aßen, während sie den Abwasch machten oder wenn alle Arbeit getan war.
    Als der zweite Gang von der Halle heruntergekommen war, hatte der junge Mann die letzten Krümel seines Brotes verspeist und den letzten Tropfen Bier aus dem Humpen getrunken. Er wischte sich den Mund, seufzte und starrte geistesabwesend in die Flammen, während der Humpen lose an seiner Hand herabbaumelte. Sein Gesicht hatte von Feuer und Essen ein wenig Farbe bekommen, doch es wirkte noch immer verzerrt und angespannt, wie von Kummer oder langem Hungern. Ned griff hinüber, um den Humpen an sich zu nehmen, bevor er zu Boden fiel. Der Fremde schreckte vor dieser Berührung zurück; Entsetzen weitete ihm Mund und Augen. Beinahe sofort verwandelte er diese Bewegung in ein Strecken und Gähnen, doch Ned hatte genug gesehen.
    Der junge Mann lächelte so freundlich und traurig zugleich wie die Figur des Märtyrers des Heiligen Johannes im Fenster der Abtei. »Ich danke dir für deine guten Dienste, Knabe. Jetzt fühle ich mich langsam wieder wie ein lebender Mensch.« Er zauste Neds rotes Haar und stand auf. Noch immer hielt er den Humpen in der Hand.
    Master Hardy saß gerade bei seiner eigenen ausgezeichneten kenne doree zu Tisch, als er bemerkte, wie der Fremde mit Ned im Schlepptau auf die Waschzuber zuging.
    »Bei den dreckigen Fingernägeln vom Heiligen Limus, Junge!«, rief er durch den Raum. »Du nützt mir nichts, wenn du halb tot bist und wie eine Latrine im Juni stinkst! He du, Ned, dieser Herumstreuner ist jetzt deine Angelegenheit. Hol ihm sauberes Leinen von Mistress Rudyard und zeig ihm den Weg zum Waschhaus. Und du, Junge, kannst im Stall schlafen, bis wir für dich ein Lager finden – sag Master Hayward, dass ich das gesagt hab …« Der junge Mann verneigte sich leicht und folgte dann Ned. »Einen Augenblick noch, Junge. Wie lautet dein Name?«
    »Ich werde William Flower genannt und danke Euch für Eure Freundlichkeit, Master Hardy.«
    Der Koch des Königs lachte säuerlich. »Mal sehn, ob du dich auch noch bedankst, wenn du den Spieß ein ganzes Wöchlein hindurch gedreht hast.« Dann erinnerte er sich an den Verband und fragte: »Was sind das für Windeln um deine Brust?«
    William Flowers Gesicht erstarrte. Er fuhr sich mit den Händen an den Hals und zog die Hemdschnüre enger. »Bin von Dieben schwer bedrängt worden, Sir, und erhielt zwei gebrochene Rippen von ihnen. Ein Franziskanermönch fand mich, wickelte mir die Brust ein und sagte mir, ich sollt’ mich etwa einen Monat lang nicht auswickeln. Das ist erst drei Tage her.«
    »Diebe, sagst du? Das ist wahrlich eine traurige Geschichte.« Master Hardys Stimme klang freundlich, doch er sah den jungen Mann scharf an. Wo gab es Diebe, die einen Mann so herzlich durchprügelten, dass sie ihm dabei die Rippen brachen, und ihn doch im Besitz eines Juwels ließen, das den Preis eines guten Kriegspferdes einbrachte? Master Hardy zuckte die Achseln. Es war keine Schande, den Hungrigen zu speisen und den Nackten zu bekleiden, selbst wenn der Hungrige sich als Schuft oder der Nackte sich als liebenswürdiger Schurke herausstellen sollte. Er konnte ihn schließlich am nächsten Morgen wieder vor die Tür setzen.

Kapitel Zwei

    Ein steinerner Turm stand im Herzen des Waldes von Hartwick. Möglicherweise handelte es sich um den Überrest einer uralten Grenzfestung. Obwohl die westliche Mark schon lange in Frieden lag, war der Turm noch immer eine Festung, denn er reckte seine massiven Mauern gegen den Wald selbst. Er stand inmitten einer weiten Lichtung und die Bäume, die ihn in einem weiten Kreis umgaben, waren knorrig, verkrüppelt und von Schlehdorn und

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